Seite 1 von 2

4000 Jahre Ungleichheit

BeitragVerfasst: 12.10.2019 12:40
von Monolith
Bei Sätzen wie:

"Es ist der bislang älteste Nachweis für soziale Unterschiede innerhalb einer Familie in der Vorgeschichte."

oder

"Demnach lebten wohlhabende Gutsbesitzer-Familien im selben Haushalt mit sozial niedriger gestellten Personen, möglicherweise Gesinde oder gar Sklaven, und aus der weiten Ferne zugezogenen Frauen ohne Kinder"

muss ich, ich kann nicht anders, mit den Augen rollen.

https://www.sueddeutsche.de/wissen/archaeologie-bronzezeit-ungleichheit-lechtal-1.4636575?fbclid=IwAR1E9Xw5WvWPvLd7Ng7SMNCiCirhpjzS_2ha35fWlBbrRjZ9NC1fvUOEhOk

Re: 4000 Jahre Ungleichheit

BeitragVerfasst: 12.10.2019 14:34
von ulfr
"Dolchspitzen"

"Dort begannen die Spezialisten - darunter offenbar sehr viele Frauen - früher als anderswo, Bronze in Formen zu gießen und nicht mehr zu hämmern."


?? Vielleicht hat der Autor des Artikels noch mehreres nicht richtig verstanden?

Zum anderen: Ich erinnere nur an das Egtved-Mädchen - jede Woche wird eine neue DNA- oder sonsteine Analyse durchs Dorf getrieben ...
Warten wir´s mal ganz gelassen ab.

Wobei dieses patrilokale Modell ethnologisch gesehen nicht ganz von der Hand zu weisen ist - es gibt aber auch gegenteilige ...

Re: 4000 Jahre Ungleichheit

BeitragVerfasst: 12.10.2019 17:49
von KlausKunze
Monolith hat geschrieben:Bei Sätzen wie:

"Es ist der bislang älteste Nachweis für soziale Unterschiede innerhalb einer Familie in der Vorgeschichte."

oder

"Demnach lebten wohlhabende Gutsbesitzer-Familien im selben Haushalt mit sozial niedriger gestellten Personen, möglicherweise Gesinde oder gar Sklaven, und aus der weiten Ferne zugezogenen Frauen ohne Kinder"

muss ich, ich kann nicht anders, mit den Augen rollen.

https://www.sueddeutsche.de/wissen/archaeologie-bronzezeit-ungleichheit-lechtal-1.4636575?fbclid=IwAR1E9Xw5WvWPvLd7Ng7SMNCiCirhpjzS_2ha35fWlBbrRjZ9NC1fvUOEhOk


Bringen uns Augenbewegungen der Antwort auf die Frage näher, wie es tatsächlich war?

Re: 4000 Jahre Ungleichheit

BeitragVerfasst: 12.10.2019 19:22
von Monolith
Falsche und übertriebene Aussagen tun es mit Sicherheit nicht. Augenrollen als Ausdruck des Zweifelns sind, so denke ich, ein guter Beginn der Infragestellung, was wiederum der Beginn ist, der Antwort auf die Frage näher zu kommen.

Re: 4000 Jahre Ungleichheit

BeitragVerfasst: 14.10.2019 08:00
von Blattspitze
Das klingt ja äußerst spektakulär.
Leider ist der Originalartikel hinter der Bezahlschranke, es findet sich bei Science nur noch dieser Text,

https://www.sciencemag.org/news/2019/10 ... cemeteries
("While archaeology has provided the bone structure, archaeogenetics has added the flesh," adds archaeologist Detlef Gronenborn of Johannes Gutenberg University in Mainz, Germany. "The full fascination only emerges when both disciplines are combined.")

auf dem offensichtlich der Artikel in der Süddeutschen beruht.

Der konkrete Bezug zwischen Häusern ("Höfen") und den jeweiligen individuellen Bestattungen dürfte zwar letztlich spekulativ sein, ebenso wie heutige Zuschreibungen wie "Gutsbesitzer", "Mägde" oder "Sklaven" und auch "kinderlose Frauen"(etwa Priesterinnen?).
Monolith, Deine Kritik bezieht sich auf diese modernen Zuschreibungen und die damit evtl. zu weitreichende Art der Präsentation und Kombination der letztlich auf unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten beruhenden archäologischen, genetischen sowie Strontiumisotopen- Analysen?
Wäre es für die Süddeutsche ok, wenn am Anfang des Artikels stehen würde: Eine mögliche Interpretation könnte sein dass ...

Re: 4000 Jahre Ungleichheit

BeitragVerfasst: 14.10.2019 08:30
von KlausKunze
Blattspitze hat geschrieben:Das klingt ja äußerst spektakulär.
Leider ist der Originalartikel hinter der Bezahlschranke, es findet sich bei Science nur noch dieser Text,
[/i]


Das stimmt, wir haben hier zu wenig Fakten, das zu diskutieren. Ich habe mir beim Lesen vorgestellt (was dort nicht explizit steht), daß jeweils einem (geräumigen) Hofgebäude ("Langhaus"), in dem alle Menschen wohnten, auch jeweils ein gemeinsamer "Friedhof" entspricht. Wenn ich das richtig verstanden habe und alle Leute unter einem dach wohnten, aber nach den Grabbeigaben höchst verschiedenen Sozialstatus hatten, dann kann man daraus durchaus Schlüsse ziehen.
Ich lese das auch sehr stark vor dem Hintergrund der Rechtsgeschichte, die, für die spätere ("germanische") Zeit exakt solche Verhältnisse beschreibt, wie sie hier im Raum stehen: Um "Sklaven" im Sinne unserer Vorstellungen vom alten Rom ging es wohl eher weniger, aber um Angehörige des Hauses, die in unterschiedlichen Abhängigkeitsverhältnissen zum "Familienvater" standen, auf dem Hof unentbehrlich waren, aber nicht am Eigentum und Sozialstatus teilhatten.
Rein archäologisch ist das kaum zu erschließen. Wenn es aber zutrifft, daß die genannten Verhältnisse über viele hundert Jahre stabil waren, ist plausibel, daß sie in der späteren germanischen Frühzeit noch so ähnlich gewesen sein könnten und daß diese Parallelen zur Interpretation herangezogen werden können.

Re: 4000 Jahre Ungleichheit

BeitragVerfasst: 14.10.2019 10:53
von ulfr
KlausKunze hat geschrieben: der Rechtsgeschichte, die, für die spätere ("germanische") Zeit exakt solche Verhältnisse beschreibt


Welche Rechtsgeschichte? Uns liegen doch nur second-hand-Informationen dazu vor, die durch die römische Brille gesehen wurden und deren Authentizität doch stark infrage gestellt werden muss, siehe dazu Caesars Beschreibungen der Elchjagd bei den Germanen.

Re: 4000 Jahre Ungleichheit

BeitragVerfasst: 14.10.2019 11:23
von KlausKunze
ulfr hat geschrieben:
KlausKunze hat geschrieben: der Rechtsgeschichte, die, für die spätere ("germanische") Zeit exakt solche Verhältnisse beschreibt


Welche Rechtsgeschichte? Uns liegen doch nur second-hand-Informationen dazu vor, die durch die römische Brille gesehen wurden und deren Authentizität doch stark infrage gestellt werden muss, siehe dazu Caesars Beschreibungen der Elchjagd bei den Germanen.


Die Notwendigkeit fächerübergreifender Forschung zeigt sich am krassesten, wenn jemand von einer wissenschaftlichen Disziplin vielleicht noch gar nichts weiß.
AMIRA, Karl von, Grundriß des germanischen Rechts, Straßburg 1913.
BALTRUSCH, Dagmar Beate, Und was sagt Thusnelda? Zu Macht und Einfluß germanischer Frauen, in: BALTRUSCH Ernst (Hrg.) u.a., 2000 Jahre Varusschlacht: Geschichte - Archäologie - Legenden, Berlin 2012.
ENNEN, Edith, Frauen im Mittelalter, 1984.
HOLZEM, Andreas und Ines WEBER, Ehe - Familie - Verwandtschaft, Vergesellschaftung in Religion und sozialer Lebenswelt, Paderborn 2008.
MITTEIS, Heinrich und Heinz LIEBERICH, Deutsche Rechtsgeschichte, 15.Auf. München 1978.
QUITZMANN, Anton, Die älteste Rechtsverfassung der Baiwaren, Nürnberg 1866.
WEINHOLD, Karl, Die deutschen Frauen in dem Mittelalter, 1.Auflage Wien 1851, 1.Bd., 2.Aufl. Wien 1882, 2.Bd., 3.Aufl. Wien 1897.
WEBER, Ines, "Wachset und mehret euch", Die Eheschließung im frühen Mittelalter als soziale Fürsorge, in: HOLZEM-WEBER (2008) S.145-180.

Re: 4000 Jahre Ungleichheit

BeitragVerfasst: 14.10.2019 12:26
von Monolith
Blattspitze hat geschrieben:Monolith, Deine Kritik bezieht sich auf diese modernen Zuschreibungen und die damit evtl. zu weitreichende Art der Präsentation und Kombination der letztlich auf unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten beruhenden archäologischen, genetischen sowie Strontiumisotopen- Analysen?
Wäre es für die Süddeutsche ok, wenn am Anfang des Artikels stehen würde: Eine mögliche Interpretation könnte sein dass ...


Ja, erstens das und dann stört es mich, dass Studien und Ergebnisse zu einzelnen Fundorten immer gleich auf eine ganze Epoche interpoliert werden. Es hat sich so eingebürgert, mit allem, was man tut, äußerst spektakulär zu klingen. Es wird immer behauptet, das Älteste oder den frühestens Nachweis von etwas zu haben und das weltweit. Dabei bin ich mir sicher, dass die Untersuchenden hier die Quellen eben nicht weltweit gecheckt haben. Die Idee mit den "Sklaven-Nachweis" durch die andere Art der Bestattung in Kombination mit der Herkunft gibt es zum Beispiel auch für die Michelsberger Kultur und hier sind wir im 5. Jahrtausend. https://www.researchgate.net/publication/318218703 Das war jetzt nur ein Beispiel, das ich zufällig im Kopf hatte. Ob ich den dort gegebenen Interpretationen folge, ist eine andere Sache.

Re: 4000 Jahre Ungleichheit

BeitragVerfasst: 14.10.2019 15:59
von ulfr
1913, 1866, 1851 ... viele Bücher über das Mittelalter ...

Wikipedia sagt (wenn ich auch hier zugestehen muss, dass dies ein online-Lexikon ist und seine Zuverlässigkeit auch nicht 100%ig):

"Die nachträglichen Sammelbegriffe für die germanischen Rechtsaufzeichnungen sind Teil der Wissenschafts- und Politgeschichte: Nach Beginn der Rezeption des gelehrten römischen Rechts in Europa ab dem 12. Jahrhundert sprachen die humanistischen Juristen von Leges Barbarorum (Barbarengesetze), einerseits wegen ihres – im Vergleich mit klassisch römischen Gesetzestexten – verderbten Lateins, anderseits um die Minderwertigkeit dieser Rechtskultur gegenüber derjenigen des im Hochmittelalter wiederentdeckten und maßgeblich gewordenen Corpus iuris civilis Justinians I. zu verdeutlichen. Die Wahl des Wortes barbarisch war bewusst abfällig, denn die germanischen Stämme wurden als Zerstörer des römischen Reichs und der antiken Kultur angesehen. Die aus Romantik und nationaldemokratischen Vorstellungen des Vormärz schöpfenden Germanisten des 19. Jahrhunderts werteten sie hingegen positiv als Germanische Volksrechte, indem ihnen „das Volk“ als Träger einer überwiegend gewohnheitsrechtlichen Rechtskultur galt. Differenzierter war die gleichzeitige oder nur leicht jüngere Bezeichnung als Stammesrechte, während man im nationalsozialistischen Deutschen Reich simplifizierend von Germanenrechten sprach. "

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Germanische_Stammesrechte

Und wie gesagt bewegen wir uns im angesprochenen Artikel in der Bronzezeit, also mindestens ein Jahrtausend früher, ohne römischen Einfluss und völlig ohne schriftliche Aufzeichnungen, nicht mal die paar Runenstäbe.

Re: 4000 Jahre Ungleichheit

BeitragVerfasst: 15.10.2019 16:05
von KlausKunze
ulfr hat geschrieben:1913, 1866, 1851 ... viele Bücher über das Mittelalter ...

Wikipedia sagt (wenn ich auch hier zugestehen muss, dass dies ein online-Lexikon ist und seine Zuverlässigkeit auch nicht 100%ig):

"Die nachträglichen Sammelbegriffe für die germanischen Rechtsaufzeichnungen sind Teil der Wissenschafts- und Politgeschichte: Nach Beginn der Rezeption des gelehrten römischen Rechts in Europa ab dem 12. Jahrhundert sprachen die humanistischen Juristen von Leges Barbarorum (Barbarengesetze), einerseits wegen ihres – im Vergleich mit klassisch römischen Gesetzestexten – verderbten Lateins, anderseits um die Minderwertigkeit dieser Rechtskultur gegenüber derjenigen des im Hochmittelalter wiederentdeckten und maßgeblich gewordenen Corpus iuris civilis Justinians I. zu verdeutlichen. Die Wahl des Wortes barbarisch war bewusst abfällig, denn die germanischen Stämme wurden als Zerstörer des römischen Reichs und der antiken Kultur angesehen. Die aus Romantik und nationaldemokratischen Vorstellungen des Vormärz schöpfenden Germanisten des 19. Jahrhunderts werteten sie hingegen positiv als Germanische Volksrechte, indem ihnen „das Volk“ als Träger einer überwiegend gewohnheitsrechtlichen Rechtskultur galt. Differenzierter war die gleichzeitige oder nur leicht jüngere Bezeichnung als Stammesrechte, während man im nationalsozialistischen Deutschen Reich simplifizierend von Germanenrechten sprach. "

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Germanische_Stammesrechte

Und wie gesagt bewegen wir uns im angesprochenen Artikel in der Bronzezeit, also mindestens ein Jahrtausend früher, ohne römischen Einfluss und völlig ohne schriftliche Aufzeichnungen, nicht mal die paar Runenstäbe.


Die germanischen Stammesrechte (Leges) sind die seit der 2. Hälfte des 5. bis ins 9. Jh. entstandenen Rechtsaufzeichnungen der Germanen, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008940/2008-02-04/.
Das war mich mich Zweitsemesterstoff, desgleichen die vielen anderen Rechtsquellen, die der Wissenschaft heute zur komparativen Betrachtung der Rechtsverhältnisse zur Verfügung stehen, siehe im einzelnen MITTEIS-LIEBERICH, Deutsche Rechtsgeschichte, Beck-Verlag, ISBN 3 406 07 07102 3. Ich habe hier die 15.Aufl, dort siehe S. 4 ff. über die Quellen und Methoden der Rechtsgeschichte.
Den Hinweis auf Wikipedia verstehe ich in einem wissenschaftlichen Forum als Aprilscherz.

Als nach den Funden aus dem Lechtal erschlossenen Familienverhältnissen völlig kongruent, obwohl 2000 Jahre später, stellt Edith ENNEN (Frauen im Mittelalter, Bonn 1987) S. 32 ff. die Rechtsverhältnisse insbesondere der Frauen im germanischen Familienverband und -recht dar. Sie war als Mediävistin die Nestorin ihrer Zunft und Prof. in Bonn (wenigstens hier gestatte ich mir https://de.wikipedia.org/wiki/Edith_Ennen).

Ich würde das gern weiterdiskutieren, aber nicht auf Wikipedia-Niveau.

Re: 4000 Jahre Ungleichheit

BeitragVerfasst: 15.10.2019 18:01
von Monolith
KlausKunze hat geschrieben:Als nach den Funden aus dem Lechtal erschlossenen Familienverhältnissen völlig kongruent, obwohl 2000 Jahre später, stellt Edith ENNEN (Frauen im Mittelalter, Bonn 1987) S. 32 ff. die Rechtsverhältnisse insbesondere der Frauen im germanischen Familienverband und -recht dar. Sie war als Mediävistin die Nestorin ihrer Zunft und Prof. in Bonn (wenigstens hier gestatte ich mir https://de.wikipedia.org/wiki/Edith_Ennen).

Ich würde das gern weiterdiskutieren, aber nicht auf Wikipedia-Niveau.


Ich denke trotzdem, dass germanische Rechtsverhältnis nichts in der Bronzezeit zu suchen haben. Wir können nicht einfach geschichtliche Quellen auf die Vorgeschichte stülpen. Die vorgeschichtlichen Verhältnisse sollten zuerst aus sich heraus erklärt werden und das am Beispiel vieler Fundplätze, weil sonst ein jedes Modell unwissenschaftlich hergeleitet worden wäre.
Und das Zitieren von Wikipedia erst kritisieren und es dann selbst tun (und es sich selbst zu "gestatten") ist nicht fair.

Re: 4000 Jahre Ungleichheit

BeitragVerfasst: 16.10.2019 07:27
von KlausKunze
Monolith hat geschrieben:
KlausKunze hat geschrieben:Als nach den Funden aus dem Lechtal erschlossenen Familienverhältnissen völlig kongruent, obwohl 2000 Jahre später, stellt Edith ENNEN (Frauen im Mittelalter, Bonn 1987) S. 32 ff. die Rechtsverhältnisse insbesondere der Frauen im germanischen Familienverband und -recht dar. Sie war als Mediävistin die Nestorin ihrer Zunft und Prof. in Bonn (wenigstens hier gestatte ich mir https://de.wikipedia.org/wiki/Edith_Ennen).

Ich würde das gern weiterdiskutieren, aber nicht auf Wikipedia-Niveau.


Ich denke trotzdem, dass germanische Rechtsverhältnis nichts in der Bronzezeit zu suchen haben. Wir können nicht einfach geschichtliche Quellen auf die Vorgeschichte stülpen. Die vorgeschichtlichen Verhältnisse sollten zuerst aus sich heraus erklärt werden und das am Beispiel vieler Fundplätze, weil sonst ein jedes Modell unwissenschaftlich hergeleitet worden wäre.
Und das Zitieren von Wikipedia erst kritisieren und es dann selbst tun (und es sich selbst zu "gestatten") ist nicht fair.


Gewiß können wir nicht rechtshistorische und damit ethnologische Erkenntnisse auf die 2000 Jahre frühere Bronzezeit stülpen, das war auch nicht meine Absicht. Man kann nicht aus den Verhältnissen der ersten Jahrhunderte unserer Zeit auf diejenigen der Bronzezeit rückschließen, völlig klar.
Wenn wir Übereinstimmungen aber quasi empirisch feststellen, sollten wir sie zu erklären suchen.
Frühere Forscher hatten ja vielfach über die Gesellschaftsform(en) der Vorgeschichte spekuliert. Von Spekulationen über ein Urmatriarchat bis zu einem Urpatriarchat fand sich alles Mögliche.
Jetzt sagen uns die Publizierenden der Lechtal-Arbeit: Über einen Zeitraum von 700 Jahren seien die Verhältnisse so und so gewesen, der Grundbesitz sei offenbar patrilinear weitergegeben worden, die Frauen hätten von weither eingeheiratet. Gerade so war es auch in der ältestgreifbaren germanischen Zeit, also viel, viel später.
Logischerweise gibt dafür zwei mögliche Erklärungen: Entweder wurden diese gesellschaftlichen Verhältnisse immer weiter tradiert, dann müßte man quasi zwischen den beiden "Zeitpolen" intrapolieren oder spekulieren, zwischendurch sei es auch durchweg so gewesen und geblieben. Oder aber der Zustand einer Gesellschaft vor dem konkreten Hintergrund einer bestimmten Wirtschaftsform, Zivilisationsstand und Besiedlungsdichte hätte eine konvergente Entwicklung begünstigt, die patrilineare Weitergabe des Grundeigentums sei also eine Folge konkreter materieller Ursachen.
Ich erhoffe mir von der Archäologie, daß sie die Archäogenetik, die Rechtsgeschichte und ggf. andere Disziplinen in ihren Gedankenkosmos integriert und anhand ihrer Funde die komplexen Zusammenhänge erklären hilft. Früher empfand ich die Archäologie oft als steril, wenn sie mir sagte auf die und die Scherbenkultur sei jene Scherbenkultur gefolgt und ewig so weiter. Inzwischen vermag sie viel mehr über die menschliche Lebenswelt z.B. der Bronzezeit auszusagen.

Re: 4000 Jahre Ungleichheit

BeitragVerfasst: 16.10.2019 08:09
von ulfr
KlausKunze hat geschrieben:Als nach den Funden aus dem Lechtal erschlossenen Familienverhältnissen völlig kongruent, obwohl 2000 Jahre später, stellt Edith ENNEN (Frauen im Mittelalter, Bonn 1987) S. 32 ff. die Rechtsverhältnisse insbesondere der Frauen im germanischen Familienverband und -recht dar. Sie war als Mediävistin die Nestorin ihrer Zunft und Prof. in Bonn (wenigstens hier gestatte ich mir https://de.wikipedia.org/wiki/Edith_Ennen).

Ich würde das gern weiterdiskutieren, aber nicht auf Wikipedia-Niveau.

Den Hinweis auf Wikipedia verstehe ich in einem wissenschaftlichen Forum als Aprilscherz.


Frau Ennen (Ennen 1987: 32) schreibt genau das, was ich oben zu bedenken gegeben habe und wo ich eine "exakte" (Ihr Zitat) Beschreibung "germanischen Rechts" in Zweifel gezogen habe:

"Was wir von den Germanen der taciteischen Zeit [...] wissen, ist sehr bruchstückhaft; da wo die Bodenfunde die schriftlichen Quellen nicht überprüfbar machen, in den Fragen des Rechtes und der sozialen Verhältnisse, bleibt vieles unklar und umstritten. [...] Die ausführliche Schilderung in der Germania des Tacitus, die ein sehr positives Bild von der germanischen Frauen entwirft, müssen wir kritisch lesen. Tacitus wollte einmal der Gesellschaft des weltstädtischen Rom mit ihren Zerfall der alten Vätersitte einen Spiegel vorhalten, dann steht sein Werk in einer historiographisch-ethnographischen Tradition, die den Quellenwert seiner Aussagen erheblich mindert; er gibt vielfach allgemeine Barbarentypologie, die nicht durch eigene Beobachtung ergänzt und korrigiert wird."

Wenn Sie, Herr Kunze, gern auf wissenschaftlichem Niveau weiterdiskutieren möchten und Wikipediaeinträge pauschal als Aprilscherz abtun, dann sollten Sie vielleicht ein eigenes Forum aufmachen und sich mit anderen Rechtsgelahrten austauschen - ich bin an diesem Punkt jedenfalls raus.

Re: 4000 Jahre Ungleichheit

BeitragVerfasst: 16.10.2019 15:24
von KlausKunze
ulfr hat geschrieben:
KlausKunze hat geschrieben:Als nach den Funden aus dem Lechtal erschlossenen Familienverhältnissen völlig kongruent, obwohl 2000 Jahre später, stellt Edith ENNEN (Frauen im Mittelalter, Bonn 1987) S. 32 ff. die Rechtsverhältnisse insbesondere der Frauen im germanischen Familienverband und -recht dar. Sie war als Mediävistin die Nestorin ihrer Zunft und Prof. in Bonn (wenigstens hier gestatte ich mir https://de.wikipedia.org/wiki/Edith_Ennen).

Ich würde das gern weiterdiskutieren, aber nicht auf Wikipedia-Niveau.

Den Hinweis auf Wikipedia verstehe ich in einem wissenschaftlichen Forum als Aprilscherz.


Frau Ennen (Ennen 1987: 32) schreibt genau das, was ich oben zu bedenken gegeben habe und wo ich eine "exakte" (Ihr Zitat) Beschreibung "germanischen Rechts" in Zweifel gezogen habe:

"Was wir von den Germanen der taciteischen Zeit [...] wissen, ist sehr bruchstückhaft; da wo die Bodenfunde die schriftlichen Quellen nicht überprüfbar machen, in den Fragen des Rechtes und der sozialen Verhältnisse, bleibt vieles unklar und umstritten. [...] Die ausführliche Schilderung in der Germania des Tacitus, die ein sehr positives Bild von der germanischen Frauen entwirft, müssen wir kritisch lesen. Tacitus wollte einmal der Gesellschaft des weltstädtischen Rom mit ihren Zerfall der alten Vätersitte einen Spiegel vorhalten, dann steht sein Werk in einer historiographisch-ethnographischen Tradition, die den Quellenwert seiner Aussagen erheblich mindert; er gibt vielfach allgemeine Barbarentypologie, die nicht durch eigene Beobachtung ergänzt und korrigiert wird."

Wenn Sie, Herr Kunze, gern auf wissenschaftlichem Niveau weiterdiskutieren möchten und Wikipediaeinträge pauschal als Aprilscherz abtun, dann sollten Sie vielleicht ein eigenes Forum aufmachen und sich mit anderen Rechtsgelahrten austauschen - ich bin an diesem Punkt jedenfalls raus.


Wenn Sie den nächstfolgenden Satz bei ENNEN S.32 noch gelesen hätten, hätte sich Ihnen die Konkruenz zwischen den geschilderten Zuständen und denen im Lechtal sofort erschlossen:
"Die Germanen der ersten nachchristlichen Jahrhunderte sind in Stämme gegliedert. Die kleinste aber wichtigste Einheit ist das 'ganze Haus', über das der Hausherr gebietet; es gibt Anfänge einer Grundherrschaft, eine kleine Herrenschicht, viele Freie, etliche Sklaven." etc. pp.

Unser Wissen ist zwar für die taciteische Zeit noch bruchstückhaft, das trifft aber auf die ersten nachchristlichen Jahrhunderte bereits nicht mehr zu. Man kann das alles nachlesen, man kann es natürlich auch ignorieren.