Markus Egg und Konrad Spindler† (2009):
Kleidung und Ausrüstung der kupferzeitlichen Gletschermumie aus den Ötztaler Alpen
Mit Beiträgen von Roswita Goedecker-Ciolek und Joachim Lange
Zeichnungen von Andreas Blaickner, Michael Schick, Julia Ribbeck, Hartmut Schmidt und Michael Ober.
Fotos von Sepp Hofer, Christin Beeck und Volker Iserhardt
Monographien des RGZM Band 77
262 S. mit 153 z.T. farbigen Abb., 22 Farbtaf. und 12 großformatigen Beilagen
ISBN 978-3-88467-125-2
Der Wert wird mit 90 € angegeben.
Irgendwo hier im Forum hat bereits jemand auf diese neue Publikation aufmerksam gemacht, ich finde es aber nicht mehr und eröffne daher einen neuen Thread. Ötzi – Infos sind ja ansonsten überall im Forum verteilt, vielleicht lässt sich einiges neueres hier konzentrieren.
Eine kurze „Besprechung“ meinerseits:
Ich habe das vom äußeren her sehr schön aufgemachte Buch jüngst als Geschenk erhalten. Sofort fallen die zahlreichen großen Beilagen in der hinten eingeklebten Tasche auf. Es handelt sich dabei um großformatige Zeichnungen der wesentlichen Kleidungsstücke und Ausrüstungsgegenstände, die zusammen mit den anderen Fotos und Zeichnungen im Buch fast keine Fragen offen lassen. Auf entsprechend detaillierte Darstellungen der Funde habe ich 17 Jahre gewartet. Die Lage des Bogenstabes und des Axtholmes im ehemaligen Eibenstamm sind dargestellt, es gibt Schnittmuster für Birkenrindengefäße, Mütze und Köcher und und und …. . Für Addicts wie mich und möglicherweise manchen anderen hier daher ein (teures) Muß.
Der neuere Text stammt überwiegend von M. Egg.
Nach der von Spindler referierten Entdeckungsgeschichte und (mir zu) detaillierter Darstellung von skurrilen Zuschriften armer verwirrter Menschen an das Forschungsinstitut wird auf Fundstelle und Fundlage eingegangen, Egg geht davon aus, das der Mann als auch der Köcher ursprünglich dicht bei der Rückentrage lagen und erst durch das Schmelzwasser zu den späteren exakten Fundorten verlagert wurden.
Anschließend ist die
Kleidung dran, Egg weist deutlich darauf hin, dass die Tierarten, die das Ausgangmaterial für Leggins und Oberbekleidung
http://www.oetzi.com/sites/default/file ... 1235136023
http://www.oetzi.com/sites/default/file ... 1235136707
lieferten, nicht wirklich feststehen. Hirsch, Reh, Gämse, Steinbock und Ziege kommen in Frage, lediglich für die Gürtel
http://www.oetzi.com/sites/default/file ... 1235144275
soll Kalbsleder feststehen. Die ursprünglich als Schweiss-/Hautablagerungen des Trägers interpretierten Spuren auf den Innen- (Fleisch-) Seiten des Kleidung, können nunmehr auch mit der Fettgerbung in Zusammenhang gebracht werden.
Die Bärenfellmütze ist nach Egg für einen Kopfumfang von 52cm gefertigt.
http://www.oetzi.com/sites/default/file ... 1235136570
Bzgl. der Schuhe
http://www.oetzi.com/sites/default/file ... 1235136912
(Ötzi-Schuhgröße 35, Sohlenleder 43) geht man jetzt von einem umlaufend hochgezogenen Rand aus, so daß die vielfach sichtbaren knollig-tischtennisschlägerartigen Rekos wohl falsch sind.
Hinsichtlich der Trageweise und letztlichen Interpretation als Grasumhang bildet Egg als suggestiven Vergleich das Gottfried Lindauer Maori – Porträt des Tamati Waka Nene ab:
(Quelle:http://www.treaty2u.govt.nz/images/content-of-treaty-main-3.jpg)
Hauptgrund für die Ablehnung der „Mattenthypothese“ Barth`s (und von Egg unerwähnt: A. Reichert`s) ist, das im Geflecht Vermehrungen der Stränge sichtbar sind, eine flache Matte also unwahrscheinlicher ist. Da ich von diesen Techniken und den „Erweiterungen“ nix verstehe bin ich auf die Meinungen hier gespannt. Auf mich hat Reichert`s Vorschlag nachvollziehbar gewirkt, besonders hinsichtlich Transport von Köcher und Trage.
Die Kleidung des Eismannes wird von Egg (im Gegensatz zu anderen) nicht als Standardkleidung seiner Epoche gedeutet, sondern als „zweckmäßig bei normalem Wetter für den späten Frühling bis zum Herbst in der alpinen Zone“ (S.97). Hmm ...
Hinsichtlich der
Ausrüstungsgegenstände wird mit dem Eibenbogen begonnen.
Reines Eiben-Kernholz (16 Jahrringe je cm) mit liegenden Jahrringen. Es wird eine Imprägnierung unbekannter Art bestätigt, allerdings ist die „Bluttränkung“ des Bogenstabes, wie von T. Loy benannt, auszuschließen. Überhaupt werden viele der von Loy „molekulararchäologisch“ nachgewiesenen Blutspuren, die einst so viel von der Presse kolportiert wurden, relativiert.
Lustig ist die von Egg vorgeschlagene diagonale Bogenhaltung beim Schuss (S. 100): „Eine solche Schusshaltung schützt auch die Unterarme vor der zurückschnellenden Sehne und macht einen Armschutz überflüssig.“
Bzgl. des Köchers wird weiter von Fell statt Leder (Tierart nicht eindeutig bestimmt) ausgegangen.
http://www.oetzi.com/sites/default/file ... 1235138685
Egg ist sicher, dass der Silexbohrer aus dem Gürteltäschchen das Werkzeug ist, mit dem die Haselversteifung ausgeführt wurde, weil der „genau hineinpasst“. Hmm...
Die eingezogenen Lederbänder im Deckel werden als „Verzierung“ statt als Mittel zum sphärischen Biegen der Klappe gedeutet, seufz,..
Wichtig ist der Hinweis, dass keinerlei Abriebspuren eines Trageriemens an der Köcherversteifung sichtbar sind, Egg weist auf die interessante Möglichkeit hin, dass der Köcher an der Rückentrage befestigt war. Egg findet es seltsamerweise „bemerkenswert“, dass kein Ersatz für die gebrochene Köcherversteifung mitgeführt wurde.
Beim Beil
http://www.oetzi.com/sites/default/file ... 1235137333
weist Egg darauf hin, dass Eibe als Schaftmaterial „nicht besonders geeignet“ ist, und das die Klinge anscheinend nicht durch Dengeln verdichtet sondern lediglich geschliffen wurde. Das würde meiner Ansicht nach eine Werkzeugfunktion in Frage stellen.
Schwierigkeiten habe ich außerdem mit der Vorstellung, dass das kleine Silex-Klingenfragment zum Schnitzen der Nocken gedient haben soll.
Spannend fand ich Egg`s Interpretation, dass das Tragegestell vermutlich ohne Fellsack, sondern nur mit einem zusammenziehbaren Netz aus Lindenbastschnüren (die direkt vom Stamm ohne Röste verwendet wurden) und den Birkenrindenbehältern und dem Köcher ausgestattet war.
Und, und und …
Trotz meiner Detailkritelei ein sehr lesenswertes Buch. Über Interpretationen kann und wird weiter trefflich gestritten werden, die Fundvorlage ist jedoch durchweg empfehlenswert.
Marquardt