Ötzis Köcher

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Ötzis Köcher

Beitragvon FlintMetz » 18.07.2013 07:18

Guten Morgen zusammen,

ich versuche mich gerade an einer möglichst naheliegenden Interpretation des Ötzi-Köchers, was ja aufgrund des fragmentarischen Zustandes (besonders des Deckels) nicht ganz so ohne Probleme ist. Jedoch ist mir schon bei der Grundkonstruktion eine Widersprüchlichkeit aufgefallen. Es wird immer von 20 Löchern in der Stabilisierungsstange geredet und auf allen Abbildungen ist das Teil so dargestellt, dass ich den Eindruck habe, da wäre evtl. ein Fehler drin. Die eine "Bruchstelle" der Stange sieht ziemlich abgeschnitten und nicht abgebrochen aus (roter Strich im Bild). Auf allen Fotos und Zeichnungen glatt und keine Faserbildung, auch kein Loch. Wäre dieses Teil mit dem halben Loch nach oben (wie dargestellt), könnte man nicht die genaue Länge der Stange bestimmen, da dann offensichtlich etwas fehlt. Dass dieses Teil verkehrt herum dargestellt ist, dafür spricht auch das überschlagene und verdrehte Lederband (roter Kreis). Ich würde also dieses Teil drehen und komme dann aber nur noch auf 19 Löcher. Was meint ihr dazu... oder gibt es dazu schon neuere Literatur, wo das evtl. bereits diskutiert wurde?

Im übrigen sehe ich darin einen Seitenköcher eines Linkshänders, der auch auf der linken Seite getragen wurde. Dafür spricht die ziemlich aufwändige Mittelrille der Stange, die Regenwasser daran hindern soll, von oben in die Längs-Naht des Beutels hinein zu laufen und auch die seitliche Klappe über den Bereich der Federn, der diese wiederum vor Regen von oben schützen soll. Das macht nur Sinn, wenn der Köcher auch quer und links getragen wurde.

Ich freue mich auf eure Anregungen und Diskussionen...

Beste Grüße...

Robert
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Re: Ötzis Köcher

Beitragvon ulfr » 18.07.2013 09:45

Da geb ich Dir völlig Recht - 19 Löcher statt 20. Über die Tragweise bin ich mir nicht 100%ig sicher - Seitenköcher ja, aber der Unterschied ist dann nicht so groß - wenn er auf der linken Körperseite getragen wurde (Rechtsschütze), dann läge die Öffnung auf der linken Seite und würde vom Schützen wegzeigen, auf der rechten Körperseite wiese sie zum Schützen hin. Die Pfeile kann man so oder so bequem greifen. Ich mal mal Bilder dazu, wenn ich Zeit habe.
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Re: Ötzis Köcher

Beitragvon Hans T. » 18.07.2013 16:04

Ich tendiere aber auch zum Linkshänder. Unsere Nachbauten sind linkshändig besser zu bedienen, da die Klappe dann aussen, vom Körper weg, liegt. Bei rechter Trageweise ist die Klappe immer zwischen Mann und Köcher. Thomas hat ein zweites Exemplar gebaut, quasi spiegelverkehrt, für sich als Rechtshänder. Geht einwandfrei. Das Foto zeigt die rechtshändige Version, aber man kann das Problem erkennen, wenn man sich den Köcher nun links vorstellt.

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Re: Ötzis Köcher

Beitragvon FlintMetz » 18.07.2013 20:29

Prima - dann trügt mich mein Gefühl wohl nicht ganz. Kann man nicht anhand von Muskel-, Sehnen-, Gelenkaufbau feststellen, ob der Eismann Links- oder Rechtshänder war? Tennisarm usw. sind ja heute recht gängig und an lebenden Menschen ist es wohl kein Problem, anhand solcher Merkmale die Händigkeit festzustellen. Besonders bei Bogenschützen oder Leuten, die häufig Druckretuschen machen :-) Bei mir kann man das sogar anhand der Hornhautbildung an den Händen feststellen (Druckstab-Haltung und Mediterraner Anker). Aber an Mumien...? Gibt´s da schon was?

Schöne Grüße...

Robert
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Re: Ötzis Köcher

Beitragvon Blattspitze » 18.07.2013 23:24

Uff, ich war vor ein paar Tagen im Museum in Bozen, -hätte ich vom Thema hier gewusst, hätte ich ihn fragen können. Aber im Ernst, Deine Hinweise zur Händigkeit sind sehr interessant.

Eindeutig Linkhänder-Köcher? - Einspruch Euer Ehren, nicht auf dem Rücken ...
Die Köcher-Trageweise (Seiten-, Rücken- etc.) ist mangels entsprechender erkannter /vorhandener / beschriebener Spuren vollständig unbekannt(?).
Als Rechtshänder hatte ich mit meinem Ötzi-Modellköcher
viewtopic.php?f=8&t=3243
als Rücken- oder Seitenköcher bei Turnieren jedenfalls nie Probleme. Mit entsprechend breiter Überschlagklappe lässt sich ein vergleichbarer Köcher nach meiner Erfahrung auch auf dem Rücken fast senkrecht waserdicht tragen.
Die auf Hans`Bild sichtbare Trageweise ist eigentlich nur bei Turnieren mit breiten Wegen ohne ständig störendes Unterholz und Gestrüpp empfehlenswert, oder hoch zu Roß, oder auf dem Gebirgspass ...
?
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Re: Ötzis Köcher

Beitragvon Godehardt » 19.07.2013 17:51

Man kann den Köcher als Rechtshandschütze so tragen wie Thomas es zeigt oder abe mit dem oberen Ende nach hinten und dem unteren nach vorn. Dann wäre der Köcher wieder so wie beim Ötztal-Schützen gebaut und nicht spiegelverkehrt. Dass die Tragweise mit dem oberen Ende nach hinten auch üblich war, das zeigen die skythischen Köcher. Da hier auch der Bogen selbst mit im Köcher steckte, war es notwendig, dass das obere Ende des Köchers nach hinten zeigte. Das obere Ende des Bogens steckte nach unten im Köcher, und er konnte ähnlich wie ein Revolver (entschuldigt den Vergleich) heraus gezogen werden. Die Pfeile wurden dann auch nach hinten heraus gezogen.
Grüße, Erhard
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Re: Ötzis Köcher

Beitragvon Hans T. » 19.07.2013 20:39

Obacht, nicht die sichtbare obere Lasche ist der Gag, sondern die verdeckte Lasche. Die Kombination der beiden Laschen funktioniert einfach "links" am besten. Rückentrageweise wäre denkbar, wenn man den Köcher abnimmt, die Pfeile rausnimmt und in der Bogenhand hält. Am Rücken getragen ist die 2-Laschen-Kombination nicht bedienbar. Und bei Thomas' Köcher aufpassen, der ist wirklich auf Rechtshänder umgebaut.

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Re: Ötzis Köcher

Beitragvon Godehardt » 21.07.2013 14:38

Hans,
Ich ging davon aus, dass der Köcher an der Seite getragen wird, aber eben nicht so, dass das obere Ende des Köchers nach vorn zeigt sondern nach hinten. Dann wäre wieder die Bauweise des Originals richtig für einen Rechtshandschützen, der den Köcher auf der rechten Seite trägt, aber mit dem obenren Ende nach hinten zeigend. Er zieht dann die Pfeile schräg nach hinten heraus.
Gruß, Erhard
Erhard Godehardt
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Re: Ötzis Köcher

Beitragvon FlintMetz » 21.07.2013 20:17

Interessante Argumente und Sichtweisen - klar: das obere Ende nach hinten ginge auch, nur sind die Pfeile alle so um die 85 cm lang und stecken bis zu den Federn im relativ schmalen Fellschlauch. Ich mit meinen kurzen Armen hätte da wohl meine Probleme, die zügig in einer Bewegung nach hinten raus zu ziehen. Ein Nachgreifen wäre vermutlich unumgänglich. Und ein Riese war der Eismann auch gerade nicht... Dennoch - an so eine Variante hatte ich noch gar nicht gedacht...

Einen schönen Abend noch...

Robert
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Re: Ötzis Köcher

Beitragvon Hans T. » 22.07.2013 13:22

Das Problem ist nicht "vorne-hinten", sondern der doppelte Lappen. Einer ist ja am Stabilisierungsstab beweglich, angelenkt am Stab. Sieht man am Foto nicht. Und dann kommt darüber die Querklappe, die man auf dem Foto sieht. Bei rechts-Trageweise schlappert der innere Lappen weg vom Köcher, bei links-Trageweise behält er seine Funktion. Es gibt also aus meiner Sicht die folgende Alternative:

Entweder der innere Lappen ist gar keiner und der Verschluß besteht nur aus der sichtbaren Querklappe. Und dann ist es völlig wurst, wo und wie ich ihn trage. Oder der innere Lappen existiert und dann funktioniert er nur bei Links-trageweise.

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Re: Ötzis Köcher

Beitragvon Blattspitze » 22.07.2013 19:52

Hans, ich verstehe Godehardt, stehe aber bzgl. Deines letzten Posts auf der Leitung?
E gibt einmal die innere Flügelklappe und die nicht mehr ganz erhaltene, aber über den Verschlußmechanismus (?) und den abgerissenen Rest rekonstruierbare äußere Überschlagklappe. Zumindest bei meinem "Anlehnungsköcher" läßt sich die Überschlagklappe auch in der Gegenrichtung einfach zurückschlagen.
Habe nichts besseres zur Hand, daher dieses alte Bild. Wenn ich ihn also als Seitenköcher an meiner rechten Seite schräg mit dem Köcherboden nach vorne trage, sieht es für den hinter mir stehenden Kollegen ungefähr so aus:
Bild
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Re: Ötzis Köcher

Beitragvon FlintMetz » 22.07.2013 20:15

Apropos Innenklappe und Außenklappe: Da scheiden sich ja schon wieder die Geister. Sowohl der Seitenflügel, als auch der "Haupt-Lappen" könnten innen oder außen getragen worden sein. Funktionier beides und erfüllt seinen Zweck. Hauptlappen, damit die Pfeile nicht nach vorne raus rutschen können - Seitenlappen, damit nichts nass werden kann. Was zuerst eingeschlagen wird, bleibt gleich und ich interpretiere jetzt die wenig nützlichen und stabilen Nähte an dem Seitenlappen als "Ornament" im weitesten Sinn, was dafür sprechen könnte, dass der außen war - hach... zu schade, dass der "Hauptlappen" weg ist... mit dem wäre man wohl um einiges schlauer.

Schöne Grüße...

Robert
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Re: Ötzis Köcher

Beitragvon Hans T. » 23.07.2013 12:13

Egal ob Innenlappen nun aussen oder nicht. Das Bild zeigt deutlich, dass der Innenlappen rechts getragen nur in Position bleibt, wenn der ganze Köcher nach hinten gerichtet getragen wird. Nach vorne gerichtet, schlappt der Innenlappen runter.
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Re: Ötzis Köcher

Beitragvon Godehardt » 24.07.2013 12:04

Hans,
das war doch genau meine Interpretation!
Allerdings sehe ich auch, dass 85 cm Pfeillänge das Ziehen nach hinten etwas schwierig macht. Aber auch hier gilt: Man kann es doch einfach ausprobieren, da eine Rekonstruktion des Köchers vorliegt.
Gruss, Erhard
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