Ich beziehe mich hier nur auf den Artikel in der AiD zum selben Thema, nicht auf das Buch:
Im Großen und Ganzen finde ich die Rekoversuche nicht so übel, wenn mich auch einiges nicht überzeugt (dazu später).
Daß die Leute moderne Schuhe tragen, finde ich eigentlich nicht so schlimm, hätte es aber besser gefunden, wenn es einen Hinweis gegeben hätte wie "Unsere Modelle tragen alle modernen Schuhe, da wir uns mit der Rekonstruktion von Schuhen im Neolithikum noch nicht befaßt haben."
Wenn die Leute barfuß gewesen wären, hätte das auch leicht einen falschen Eindruck erzeugen können.
Die Form der meisten Hüte finde ich recht gelungen, bis auf den "Fassadenhut". Dort kann ich anhand des Figürchens, nach dem der Hut gestaltet sein soll, nicht nachvollziehen, warum dieser Hut die "Fassade" hinten hat. Der Hut am Figürchen geht vorne ein Stück geade hoch (nicht hinten) und bei weitem nicht so hoch wie in dem Rekonstruktionsvorschlag. Insgesamt ergibt sich eine ganz andere Gestalt.
Die Argumentation für das Material Filz finde ich auch etwas dünne. Ehrlicher und für mich akzeptabler wäre eine Aussage gewesen wie "Wir haben vorerst Filz verwendet, weil das für uns das am leichtesten zugängliche Material war. Weitere Versuche mit anderen Materialien werden folgen."
Die Sache mit dem "Untergestell" im Hut kann ich nicht so ganz glauben. Woraus hätte das sein sollen?
Das Haarnetz finde ich einen schönen Vorschlag, wenn es auch eher nach dem Idolfigürchen gestaltet zu sein scheint als nach dem Grabfund. Die Schnecken bei dem Grabfund müssen in relativ engen Reihen genau auf dem Oberkopf befestigt gewesen sein (quasi ein "Hahnenkamm" aus Schnecken), sonst wären sie nicht im Grab in so sauberen Reihen oberhalb des Kopfes zu liegen gekommen. Wenn so viel an den Kopfseiten gewesen wäre wie im Rekovorschlag, wären die Schnecken unregelmäßiger zu liegen gekommen und auch viel mehr davon vor und hinter dem Kopf.
Zur Kleidung:
Hier bin ich auch einigermaßen mißtrauisch. Die Schnitte sind ganz modern und erzeugen relativ viel Verschnitt. Besonders viel Verschnitt würde bei einigen Applikationen anfallen (Gerade bei denen um den Halsausschnitt). Wenn man jeden Faden mit der Handspindel spinnen und jedes bißchen Stoff auf dem Gewichtswebstuhl weben muß (oder sogar flechten, wie bei den Drehergeweben), dann leistet man sich nach Möglichkeit keinen Verschnitt. Deswegen sind mir eigentlich jegliche Applikationstechniken bei Textilien für so frühe Zeitstellungen suspekt. Für Leder oder Pelze sieht das anders aus, da muß man ja eh oft zusammensetzen, um die gewünschte Form (oder bei Pelzen die Strichrichtung) zu erreichen.
Wenn die an den Figürchen dargestellte Kleidung textil war, würde ich eher zu aufgenähten Bändern oder einfachen Bestickungen (z.B. Kettenstich, oder eine Art Anlegestickerei mit Kordeln oder dicken Fäden) tendieren. Damit kann man Linien erzeugen oder Fläche füllen, ohne Abfall zu erzeugen.
Bei den Halsausschnitten käme auch ein simpler Schlitz in Frage. Der muß auch nicht immer quer gehen, wie die bekannten "U-Boot-Ausschnitte", sondern kann auch längs sein. Das würde vorne und hinten einen V-Ausschnitt erzeugen. Und Webkanten daran (oder aufgenähte Borten oder Kordeln zur Randverstärkung) können dann schnell aussehen wie Applikationen um den Halsausschnitt.
Bei den "Hosen" hatte ich auch schon an Beinlinge gedacht. Aber ich weiß nicht so recht, wie die diesen Kringel auf der Hüfte erzeugen sollten.
Ich habe auch schon daran gedacht, daß etliche der Figuren möglicherweise gar nicht bekleidet dargestellt wurden. Jedenfalls finde ich es absurd, die Ritzzeichnungen auf dem "Adonis von Zschernitz" für Muster auf Kleidung heranzuziehen (wie in einem Fall geschehen), da genau diese Statuette ziemlich eindeutig nackt ist. Laut Aussage aus dem Sächsischen Landesamt ist auch noch ein weiteres Bruchstück gefunden worden, was "vorne" dranpaßt, so daß vermutet wird, daß hier ein kopulierendes Paar dargestellt wurde. Also eher ungeeignet, um als Grundlage für Kleidungsrekos herangezogen zu werden
Einige der Figuren scheinen allerdings recht eindeutig bekleidet zu sein. Allein die Halsauschnittlinien würde ich nicht als zwingend ansehen (könnte auch eine Kette sein), aber wenn dazu eine Linie in Hüfthöhe kommt, sieht das doch recht eindeutig nach Ausschnittlinie und Saumlinie eines Kleidungsstücks aus...
Zusammenfassend würde ich zu der Arbeit sagen: Als erster Rekoversuch nicht schlecht, aber nicht alles kann überzeugen und es bleibt noch reichlich Arbeit zu tun und Alternativen auszuprobieren.