Gab es eine mesolithische Wanderung der Getreide Bauern ?

Palaeozoologie, Palaeobotanik und alle archäologischen Hilfswissenschaften, sowie Methodendiskussionen innerhalb der Archäologie.

Gab es eine mesolithische Wanderung der Getreide Bauern ?

Beitragvon Pitassa » 12.03.2023 15:09

Ein von Cosimo Posth et alias auf der Basis von DNA-Analysen zur genetischen Genealogie von Jägern und Sammlern erstelltes Modell legt in Figur 5 unter anderem nahe, dass es in der Zeit zwischen 5.500 bis 3.200 v. Chr. zu einer deutlich erkennbaren Einwanderung anatolischer Getreidebauern (Farmer) nach Nordeuropa gekommen ist. Berücksichtigt wurde in diesem Modell zur genetischen Genealogie die Population der Jäger und Sammler Gruppen von Oberkassel, Yuzhniy Oleniy Ostrov, Sidelkino und Goyet Q-2, sowie diejenige neolithischer Bauern aus den anatolischen Fundgebieten Barcin (Sivas), Mentese (Sivas /Kayseri) und Boncuklu (Diyarbakir / Elazig).

Wie der in Figur 5 a dazu eingestellten Karte in Verbindung mit den von Detlef Gronenborn und Barbara Horejs (2021) veröffentlichten Ergebnissen entnommen werden kann, wird um 8.200 v. Chr. in Anatolien eine von neolithischen Bauern getragene Wanderung eingesetzt haben, deren Träger um 5.200 v. Chr. das Gebiet des heutigen Deutschland erreichten und um 4.000 v. Chr. schließlich in Britannien und Dänemark Fuß fassten. Aus dem untersuchten Material zur genealogischen DNA-Analyse geht hervor, dass sich das genetische Erbgut anatolischer Getreidebauern in der Oberkassel Gruppe nachweisen ließ und dieses in Norddeutschland teilweise sogar zu dominieren begann, was auf eine einvernehmliche Assimilation durch Heirat hindeutet. Demnach würde es im Mesolithikum eine aus Südosteuropa kommende, nach Nordwesteuropa gehende Wanderung gegeben haben. Dies wäre eine wesentliche Modifikation der von William Barnett (2000) vorgelegten Ergebnisse. Gibt es dazu noch weitere Untersuchungen, etwa seitens der Archäologie, Agrarwissenschaften, Ethnologie und Botanik ?

Mir selbst scheint durch diese Annahme das folgende, bei Herodot, Historien IV, 33 -35 geschilderte Ritual verständlich geworden zu sein :

Die Delier erzählten, so berichtet Herodot, dass die Hyperboreer einstmals alljährlich ein aus 2 Frauen und 5 Männern bestehendes Priesterkollegium zum Heiligtum der Artemis auf Delos entsandten, wo dieses der Göttin ein Opfer aus Weizengarben brachte. Zuerst brachten Arge und Opis, in Begleitung eines Geleites des Jägers Abaris, alljährlich auf der Insel Delos dieses Getreideopfer dar. Als nach Arge und Opis schließlich jedoch erneut zwei Priesterinnen auf Delos verblieben und dort starben, hörten die Hyperboreer damit auf, aus ihrer Mitte eine eigene Delegation nach Delos zu entsenden und überbrachten ihre Erstlinge seither dem nächsten auf dem Weg dorthin gelegen, angrenzenden Volk, welches diese Opfergaben mit der Bitte um Weitergabe dem nächsten Übergab. So erreichten die Opfergaben der Hyperboreer seit dieser Zeit alljährlich durch Weitergabe von Volk zu Volk die Insel Delos, wo der Opis ein Grab errichtet worden war.

Wie Herodot berichtet, pflegten auch andere Völker, so beispielsweise die thrakischen und attischen Frauen, die Sitte, der Göttin Artemis alljährlich ein in Emmer (Weizenhalme) geschnürtes Büschel Roggen zu übersenden. Ich vermute hierzu, dass dieser frühgeschichtliche Brauch der Hyperboreer eine Konzession an die einstige Wanderung gewesen sein könnte.

Literatur :

Posth, Cosimo ; Yu, He ; Ghalichi, Ayshin ; Krause, Johannes et alias : Palaeogenomics of Upper Palaeolithic to Neolithic European hunter-gatherers. In : Nature, Issue 615, London u. Berlin 2023, S. 117 - 126, Fig. 5.

Siehe Open Access unter : https://www.nature.com/articles/s41586-023-05726-0

Vorlage der in Figur 5a gezeigten Karte :

Gronenborn, Detlef ; Horejs, Barbara : Expansion of farming in western Eurasia. 9600 - 4000 cal. BC. In : Zenodo, Beitrag vom 08. September 2021.

Siehe Open Access unter : https://www.zenodo.org/record/5903165#.ZA3nGr3MJEY

Bislang bildete insbesondere auch die folgende Untersuchung die Grundlage zur Ausbreitung des neolithischen Bauerntums :

Barnett, William : Cardial Pottery and the agricultural transition. In : Theron Douglas Price : Europe's First Farmers, Cambridge 2000, S. 93 - 116.

Siehe zur Cardial-Kultur online unter :

https://cambridge.org/core/books/abs/eu ... 17FECB86B5

Sowie zur zeitlich vorgelagerten Pre-Sesklo Kultur :

Maurer, Jakob : Das Mittelneolithikum in Griechenland, Krems 2010. Siehe online unter : https://docplayer.org/49091173-Das-mitt ... nland.html (Sesklo und Dimini am Pelion)

Die im Dateianhang gezeigte, von Cosimo Posth et alias erstellte Karte zeigt die aus der genealogischen DNS-Analyse gewonnenen Allelfrequenzen. Sie stellt eine Adaption der zuvor von Gronenborn und Horejs dazu erstellten Karte dar.

Die zweite Karte basiert auf den von William Barnett erzielten Ergebnissen zur Cardial-Kultur und wurde von José-Manuel Benito Álvarez erstellt.

Pitassa :hallo:
Dateianhänge
Anatolische_Getreidebauern_Mesolithische_Wanderung_5500-3200_v.Chr._nach_Cosimo_Posth_und_Johannes_Krause_et_alias_Nature_Issue_615_2023_S.117_126_Fig.5_CC_BY_NC_4.0_.jpg
Kartographische Darstellung der im Zuge einer Auswertung der genealogischen DNS-Analyse erzielten Ergebnisse hinsichtlich der Allelfrequenz anatolischer Farmer, welche im Neolithikum zwischen 5500 und 3200 v. Chr. auf die Population der Oberkassel Gruppe trafen. Anhand der Allelfrequenzen konnte im Modell auf eine genetische Assimilation dieser Gruppen geschlossen werden. Quelle : Posth, Cosimo ; Yu, He ; Ghalichi, Ayshin et alias, Palaeogenomics of Upper Palaeolithic to Neolithic European hunter-gatherers. In : Nature, Issue 615, 117 - 126 (2023), Detailansicht aus Figur 5a. Lizenz : Open Access, CC BY-NC-SA 4.0.
Karte_zur_Ausbreitung_der_Pre_Sesklo_und_Cardial_Kultur_6._bis_5._Jahrtausend_v.Chr._Erstellt_von_Jose_Manuel_Benito_Alvarez_Wikimedia_2006_In_public_domain_.jpg
Karte zur Ausbreitung der Keramik der Pre-Sesklo und Cardial-Kultur im Neolithikum des 6. und 5. Jahrtausends v. Chr. Erstellt von : José-Manuel Benito Álvarez, Wikimedia 2006. Lizenz : In Public Domain.
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Re: Gab es eine mesolithische Wanderung der Getreide Bauern

Beitragvon Monolith » 14.03.2023 13:46

Hallo Pitassa,

was Du hier darstellst, ist inzwischen sehr gut durch viele genetische Studien für verschiedene Regionen Europas belegt. Ich empfehle Dir "David Reich - Who we are and how we got there" zu lesen. Um es kurz zu machen: Nein, es waren sehr wahrscheinlich keine Heiratsprozesse, die zum Wechsel des genetischen Pools führten, sondern zunächst einmal pure und vermutlich brutale Verdrängung. Es besteht allerdings die Möglichkeit, dass es in verschiedenen Regionen eine Restpolpulation von Mesolithikern gab, die dann tatsächlich assimiliert wurde. Zumindest deuten einige mesolithische Geneinsprengsel in Mitteleuropa darauf. Herodot hier zu bemühen, finde ich anachronistisch. Er kann uns nichts über die Zeit von 7500 Jahren sagen, höchstens etwas über bestimmte soziale Grundmuster, die aber nach Raum und Zeit variieren, präsent oder absent sein können.
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