Die Heilkraft des Todes

Ausschließlich zur Diskussion historischer Berichterstattung!

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Beitragvon Trebron » 09.12.2009 07:28

Dr. Seltsam hat geschrieben:"Was weiß man schon über die Menschenfresser?
Fressen sie Mensch, wie sich's gehört mit Gabel und Messer?
Schmeckt ihnen ein dicker, asthmatisch gewesener Bäcker besser
als ein dünner, schmalfingriger König? Man weiß so wenig . . .!"
(Erich Kästner)

PS für die Substanz im Posting:
Eindeutig wären Bissspuren von menschlichen Zähnen zum Beispiel oder gekochte/ geröstete Knochen. Die Tötung mit entsprechenden Spuren eingesschlossen (vgl. Schletz und Talheim). Entfleischen und Zerhacken dagegen kann ein Bestattungsritual sein (siehe Orschiedt und Haidle).
Gruß Leif


Wenn ich mir schon die "Arbeit" im Rahmen eines Rituals mache, werfe ich die Knochen anschließend nicht einfach in eine Grube !
Aber das hat wieder etwas mit "Deutungshoheit" zu tun, wie Sylvia in einem anderen Zusammenhang treffend bemerkt hat. :D
Wie kann man nach 7000 Jahren unterscheiden, ob ein Knochen gekocht war oder roh ?

Wenn ich von meinem Metzger rohe Rinderknochen bekomme, werden sie sofort abgekocht, weil das Entfernen der Fleischreste dann leichter geht.
( Ist auch appetitlicher :oops: )

Trebron geht jetzt Frühstück machen !
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Beitragvon LS » 09.12.2009 13:52

Hallo Trebron,
auch wenn die Einlagerung im Boden sicher eine fast vollständige Entfettung bewirkt, kann das Abkochen potentiell nachgewiesen werden, siehe z.B. den Aufsatz:
"Nachweis und Identifizierung von archäologischen Fetten" von R. Rottländer 2006 (online verfügbar).

Zum vermeintlich unlogischen Arbeitsaufwand bei Manipulationen an menschlichen Skelettresten gibt es diverse Literatur. Ich will das Verspeisen von Fleisch im Fall von Herxheim übrigens gar nicht kategorisch ausschließen. Da es aber eine humanethologisch heikle Frage ist, muss hier die Beweislastumkehr erfolgen. Das heißt: Bis zum Beweis des Gegenteils sind Schnittspuren, Hackspuren und Leichenzerstückelung nicht per se als Kannibalismus zu bezeichnen. Nur unschlagbare Beweise zählen, auch wenn es einigen Archäologen offenbar schwer fällt so zu denken...

Gruß L.
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Beitragvon Joze » 09.12.2009 14:10

Hi! Dr. Seltsam - mit deinem Schluss bin ich auch zufrieden. Ich meine: genauso wurde in einer Doku festgestellt, worüber ich hier berichtet habe, dass aufgrund Waffen(Messer) Schnitten&Verletzungen an Knochen (Ein Schnitt war so identifiziert!!) dass das die Spüren von Essen und opferung sind. Ein Merkmal (dazu noch fragliches!) für eine ganze These.
Super exact!! und ein Material für Dokusendung wurde vorgelegt. :twisted:

Joze
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Beitragvon Trebron » 09.12.2009 15:24

Dr. Seltsam hat geschrieben:Hallo Trebron,
auch wenn die Einlagerung im Boden sicher eine fast vollständige Entfettung bewirkt, kann das Abkochen potentiell nachgewiesen werden, siehe z.B. den Aufsatz:
"Nachweis und Identifizierung von archäologischen Fetten" von R. Rottländer 2006 (online verfügbar).

Zum vermeintlich unlogischen Arbeitsaufwand bei Manipulationen an menschlichen Skelettresten gibt es diverse Literatur. Ich will das Verspeisen von Fleisch im Fall von Herxheim übrigens gar nicht kategorisch ausschließen. Da es aber eine humanethologisch heikle Frage ist, muss hier die Beweislastumkehr erfolgen. Das heißt: Bis zum Beweis des Gegenteils sind Schnittspuren, Hackspuren und Leichenzerstückelung nicht per se als Kannibalismus zu bezeichnen. Nur unschlagbare Beweise zählen, auch wenn es einigen Archäologen offenbar schwer fällt so zu denken...
Gruß L.


Danke für den Hinweis wegen der Fette.

:wink: ....da es eine humanethologisch heikle Frage ist !!!

Eeeeben, HSS tut sowas nicht, das hatten wir schon mal :D

Ich will ja auch nicht darauf pochen dass es K... war, ich muss immer nur schmunzeln: ..muss hier die Beweislastumkehr erfolgen.

Bei "Tier" wird das nicht gefordert.

Die angeknabberten Enden von Handknöchelchen: Zitat aus Blattspitzes Text:
"..An einigen Metacarpalia (Mittelhandknochen) und größeren Phalangen (Fingerknochen) fehlen an einer oder auch beiden Seiten die Epiphysen, und die zerstörten Knochenenden sind möglicherweise, so die Interpretation des Anthropologen, intentionell abgekaut worden."

Wenn die Knöchelchen offen im Graben lagen und nicht abgedeckt wurden, können auch Tiere diese angeknabbert haben !

Irgendwie kommt mir da "Hänsel und Gretel" in den Sinn :kessel:

Nichts ist so gewiß, als die Tatsache, dass bei der ganzen K-Geschichte nix gewiß ist !

Gruß

Trebron
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Beitragvon Blattspitze » 09.12.2009 15:59

„Da es aber eine humanethologisch heikle Frage ist, muss hier die Beweislastumkehr erfolgen. Das heißt: Bis zum Beweis des Gegenteils sind Schnittspuren, Hackspuren und Leichenzerstückelung nicht per se als Kannibalismus zu bezeichnen. Nur unschlagbare Beweise zählen, auch wenn es einigen Archäologen offenbar schwer fällt so zu denken“


„An einigen Metacarpalia (Mittelhandknochen) und größeren Phalangen (Fingerknochen) fehlen an einer oder auch beiden Seiten die Epiphysen, und die zerstörten Knochenenden sind möglicherweise, so die Interpretation des Anthropologen, intentionell abgekaut worden. An kleinen Knochen sind an einigen Stellen Spuren zu beobachten, die als Zahnabdrücke interpretiert werden könnten.“
Andrea Zeeb-Lanz, Bruno Boulestin
Quelle: http://www.projekt-herxheim.de/ng_k9.htm

Ich neige gewöhnlich dazu, den jeweiligen Fachbearbeitern des Fundmaterials, denjenigen also, die am „nächsten dran“ sind, zunächst einmal Glauben zu schenken. So auch hier.
Gehört Anthropophagie (aus verschiedensten Beweggründen) zum Kanon menschlicher Verhaltensweisen? Ich denke ja.
Insofern sehe ich angesichts der o.g. Indizen eine ausreichende Grundlage, hier Kannibalismus als einen plausiblen Interpretationsansatz zu benennen, auch öffentlich. „Heikel“, wie Leif es ausdrückt, das ist doch der Punkt. Lange nach der Aufklärung und gründend auf unserem humanistischen Weltbild gibt es hier unausgesprochene Denkverbote, -Tabus. Wir vergleichen, z.T. unbewußt, sofort mit unserer eigenen Situation. Da ist so etwas natürlich unvorstellbar.
„Alle Menschen sind gleich“ –dieser Grundsatz galt mit einiger Sicherheit nicht im Neolithikum, so wie es überhaupt die Frage ist, ob vollständig fremde, „andere“ Zweibeiner nicht ähnlich wie die sonstige belebte und unbelebte Natur als etwas fundamental Verschiedenes wahrgenommen und im Weltbild eingeordnet wurde.
Für die Boulevardpresse und den Spiegel ein gefundenes Fressen, wen von uns kümmerts? Wird es weniger Geld für die Archäologie geben, wenn möglicherweise Reste kannibalischer Mahlzeiten ergraben werden? Wohl kaum, eher mehr!
Wird das Bild der Jungsteinzeitler in der Öffentlichkeit dadurch verunglimpft? Wenn ja warum? Müssen oder wollen wir Sie in Schutz nehmen?
Marquardt
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Beitragvon Joze » 11.12.2009 08:36

Ich werd nur zwei Fragen dazu stellen:
Ist das eine einzige mögliche Erklärung von diesen "Merkmalen"?
Wurde auch bestätigt, das die Menschen die Fingerspitzen etc ...... abgefressen haben?
Und - wenn es tatsächlich um Kannibalismus geht - wer weiss. was war Grund dafür? Ein (oder mehrere) VG-Psychopat? :twisted:

Joze
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Beitragvon Thomas Trauner » 11.12.2009 12:51

Zitat Marquardt:
„sollen wir die Neolithiker verteidigen ?“

Ich denke ja.
Grundsätzlich bin mittlerweile schon froh über jede öffentliche Meldung in Sachen Archäologie.
Andererseits, und da gehe in mit Dr. Seltsam konform, ist das Konstrukt oder die Idee der Menschenfresserei schon eine besondere Sache.
Das Problem ist, dass es offenbar keine eindeutigen Belege, sei es jetzt vorgeschichtlich oder historisch, für regelhafte, gesellschaftlich akzeptierte Antropophagie gibt.
Heide Peter-Röcher stellt in ihrer Arbeit darüber fest, dass letztlich keine der Knochenspuren zwingend sind und dass jede schriftliche oder mündliche Quelle offenbar Sekundärquellen darstellen.
Ein Mythos, offenbar.
Ich denke deshalb ist eine Beweislastumkehr das Mittel der Wahl. Und es sollten nicht schwache Indizien sein, sondern starke oder sogar zwingende.

Ich verstehe jedoch, dass man auch einen anderen Standpunkt einnehmen kann.
Rein theoretisch kann man hier auch die Gefahr eines Zirkelschlusses lauern sehen. Wenn ich alle Indikatoren ablehne und des Standpunkt „Mythos“ einnehme, reichen auch keine weiteren Indizien, es bleibt ein Mythos, der widerrum starke Belege fordert....

Aber meiner Meinung nach helfen uns aus diesem Dilemma mal wieder zwei gute Parallelen:
A) Wenn du Hufgetrappel hörst, denk an Pferde, nicht an Zebras
B) Wenn du sagst, du hättest ein Einhorn im Garten, will ich stärkere Beweise als wenn du sagst, es wäre eine Ziege.

Wenn beobachtete oder bekannte prähistorische, historische oder rezente Beobachtungen in Sachen menschlichen Umgangs mit Leichen, postmortalen Prozessen, Tierfraß oder geologische Erhaltungsbedingungen ausreichen, um bestimmte Spuren vollständig zu erklären, bedarf es keiner Annahme von regelhafter Antropophagie.

Spuren an Knochen reichen m.E. deshalb nicht, weil die Berücksichtigung der o.g. Faktoren eine einfachere Theorie erbringen, als die Zusatzannahme des Kannibalismus, der als regelhafter Tatbestand einfach in realitas noch nicht beobachtet wurde.

Ich befürchte, dass mit der französischen Veröffentlichung in Sachen Herxheim mal wieder ein Faktoit geschaffen wurde, dass nur mit erheblichem Aufwand zu widerlegen ist. Weil es leichter akzeptiert wird, als die Aussage, in La-Téne wurden Hunde verspeist.

Thomas
Zuletzt geändert von Thomas Trauner am 11.12.2009 12:53, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitragvon Steve Lenz » 11.12.2009 12:52

Bin ich jetzt der Einzige hier, der sich über dieses mediale Verurteilen der Altvorderen wundert, während in der katholischen Kirche "der Leib Christi" verspeist (= ritualisierte Anthropophagie) und "mit dem Blute Christi" runtergespült (= ritualisierte Hämophagie) wird?

Saure Zimtsterne-Zeit für die Presse. Irgendwas muss man ja bringen, weil der politisch und medial provozierte Schweinegrippe-Hype nicht den gewünschten Erfolg hatte...
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Beitragvon Thomas Trauner » 11.12.2009 12:57

A non, monsieur. Esch warr garrnischt mal die Presse, als vielmähr der, die, das französische Ver´öffentlichung. Eine äh, wie ´eist es...einfache Puplicazion übe´Grabenabschnitt xy alleinä wäre kein ´ingucker, mon ami.
Die Presse hat nur geschluckt, was ihr serviert wurde.

Thomas
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Beitragvon Fridolin » 11.12.2009 13:11

Steve,
Du hast sooo Recht! Es gibt eine schöne Geschichte aus der Südsee, die neulich im Fernsehen wiederholt wurde. Da ging es um die Frage, warum sich die Südseeinsulaner so rasch und problemlos zum Christentum bekehren ließen, wo sie doch so „böse“ Kannibalen waren.
Der Einheimische erklärte das so: Wir sind keine Kannibalen. Wir haben die Toten im Leben sehr geschätzt und bewundert. Menschen, die viel erreicht haben im Leben, die für uns Vorbilder sind haben eine ganz besondere „Kraft“ (die Bezeichnung dafür habe ich vergessen), die nicht verloren gehen sollte. Diese Kraft möchte wir zu uns nehmen, denn wir möchten ebenso gute Menschen sein wie diese Toten.
Wir nehmen nur diese Kraft auf, wir essen kein Fleisch, auch wenn es für Euch so aussieht! Deshalb entspricht das Christentum im Grunde unserer alten Religion, denn im Christentum isst man im Gottesdienst ja auch den Leib des verehrten Heilands, das ist dasselbe!

Die Realität findet im Kopfe statt, in der Vorstellung...


Viele Grüße

Fridolin
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Beitragvon Nils B. » 11.12.2009 14:23

Thomas Trauner hat geschrieben:Die Presse hat nur geschluckt, was ihr serviert wurde.


In diesem Zusammenhang schön formuliert, Thomas :)
Ansonsten, um Steve und Fridolin zuzustimmen, erinnere ich mich, von verschreckten - ich glaube afrikanischen - Stammesangehörigen gehört zu haben, welche sich nicht in die Missionskirche trauten, weil der Missionar erzählt hat, darinnen würde Menschenfleisch gesgessen und Blut getrunken.
Muß noch mal schauen, wo ich das gelesen habe.
***
Germanisch depressiv und bisweilen leicht erkeltet
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Beitragvon Blattspitze » 11.12.2009 18:10

ch möchte doch noch einmal H. Mückler als Vertreter der Ethnologie zitieren.
Unter dem Zwischentitel „Kannibalismus und Wissenschaft“:
„Die Diskussion um die Existenz, Häufigkeit oder schlichtweg
Nichtexistenz des Phänomens der Menschenfresserei wird bis heute
auf einer teilweise hoch emotionalisierten Ebene ausgetragen. Als fragwürdig
klassifizierte Quellen werden immer wieder herangezogen, um
einer einseitigen, ideologisch befrachteten Sichtweise zum Durchbruch
zu verhelfen. Gerade deshalb kann man am Beispiel des Umgangs mit
dem Thema Kannibalismus die entgegengesetzten Standpunkte der
Diskussion gut beobachten, zwischen denen die Fachwissenschafter
stehen: Abscheu und Abstempelung der „Wilden“ zu Kannibalen auf
der einen Seite, falsch verstandenes Gutmenschentum und blinde
Negierung von als unbequem erachteten Tatsachen auf der anderen
Seite. Die Wissenschaft auf der Suche nach Wahrheit gerät bei den
Vertretern beider Gruppen in Bedrängnis. Die zyklisch immer wieder
auftauchenden Bestrebungen gutmeinender Sympathisanten, die
außereuropäische Menschen gegenüber der Unterstellung kannibalistischer
Praktiken „schützen“ zu wollen, waren gerade in der
Ethnologie immer wieder weit verbreitet. Während jedoch in dieser
Fachdisziplin der Trend der Umarmung und Verbrüderung mit den
„guten Wilden“ heute einer differenzierteren Sicht Platz gemacht hat
und man die fragwürdigen Seiten menschlichen Daseins als faktum
operandi anerkennt und damit eine unvoreingenommenere Sicht der
Dinge anstrebt, scheint dies in manch anderen Fachdisziplinen noch
nicht der Fall.“ … „Die Menschen der betroffenen Regionen können sich heute, nicht
zuletzt durch die Verwendung neuer Medien, selbst gegen berechtigte
und unberechtigte Vorwürfe verteidigen. Häufig streben sie jedoch
genau dies nicht an, denn dort wo es Kannibalismus gab, stellte er
einen kulturell relevanten integralen Bestandteil der eigenen
Geschichte dar, der nicht verleugnet werden will. Die Archäologie hat
heute eindeutige Beweise für die Existenz von Kannibalismus in den
verschiedensten Weltregionen. Die Untersuchung von Exkrementen
mit Spuren menschlichen Fleischverzehrs, Bissspuren an Knochen und
andere nur durch Methodenpluralismus zu erreichende Ergebnisse
sowie ein Vergleich der jeweiligen Fundsituation mit den in Oral- und
Schrifttradition festgehaltenen Informationen bestätigen oft, was man
bereits vermuten konnte.“ ...
„Dieses paternalistische Verhalten fand beispielsweise in dem Buch von Heidi Peter-Röcher
(1998), einer Ur- und Frühgeschichtlerin aus Berlin, Eingang. Auch dort wird ausschließlich
auf alte Stiche aus der Frühzeit der Entdeckungsgeschichte als untermauerndes
„Beweismittel“ zurückgegriffen und jüngere wesentlich differenziertere Forschungsergebnisse zum Thema Kannibalismus außer Acht gelassen, um dessen Nichtexistenz zu beweisen. …
Der Autor dieses Beitrags konnte selbst 1996 mit dem australischen Archäologen und
Linguisten Aubrey Parke an archäologischen Ausgrabungen in West-Viti Levu, Fidschi, teilnehmen.
Die Übereinstimmung von mündlichen Überlieferungen mit der Fundsituation bei
der Freilegung des Grabes eines Häuptlings, der im Kampf erschlagen worden war, ließ
deutlich den Schluss zu, den mündlich über Generationen weitergegebenen Geschichten
mehr Bedeutung zuzumessen, als dies in Fidschi allgemein getan wird. Dies trifft auch und
insbesondere für den Umgang mit Überlieferungen über kannibalistische Ereignisse zu.
(Quelle: http://homepage.univie.ac.at/hermann.mu ... eckler.pdf)

Hier interessante links zum diskutierten Sachverhalt mit Bezug auf die Maori:
http://wais.stanford.edu/NewZealand/new ... ican1.html
Ein in Neuseeland stark dikutiertes Buch:
http://www.nzherald.co.nz/maori/news/ar ... 390&pnum=1
http://www.nzherald.co.nz/maori/news/ar ... 179&pnum=1



Hier Auszüge der Seiten. 356-360 der in Details zweifellos mit Vorbehalten zu betrachtenden ethnohistorischen Quelle:
Tregear, E. (1904): „THE MAORI RACE.“ (http://www.nzetc.org/tm/scholarly/tei-T ... 16-d1.html)
„After the battle, began that terrible and revolting episode the cannibal feast. …The prisoners taken in the fight were slain in cold blood, except those reserved for slavery, a mark of still greater contempt than being killed for food. “

“The flesh of warriors killed in battle, “the fishes of Tu,” that is victims of the war-god, was “food extremely prohibited” (kai tapu whakaharahara) to all women with the exception of the priestess in the ruahine ceremony.”

“When the bodies could not all be eaten some of the flesh was stripped from the bones and dried in the sun, being hung on stages for that purpose. The flesh was then gathered into baskets and oil was poured over it, the oil page 359 being rendered down from the bodies; this was done to prevent it spoiling from damp. Sometimes the flesh was potted into calabashes as birds were potted. The bones were broken up and burnt in the fire. The body of a chief might be flayed and the skin dried for covering hoops or boxes. The heads of the inferior chiefs were smashed about and burnt, but those of the great men were preserved by smoking. Sometimes the bones were broken and knocked like nails into the posts of the storehouses—a great indignity. Bones were also taken away to be made into fish-hooks or as barbs for bird spears or eel spears. Or “the hands were dried with the fingers bent in towards the palm, and the wrists were tied to a pole which was stuck into the ground and baskets containing the remains of a meal were hung upon these fingers.” Some of the Ngapuhi tribe were treated in this way by the Waikatos early in this century. “…. The hands had been roasted until the outer skin had come off. The palms were quite white inside.” If the deceased had been a great chief care was taken to degrade every part of the skeleton. The thing bones were made into flutes or cut into sections that would be worked into rings (poria) for the legs of captive parrots. From other bones would be made pins (aurei) for holding the dress-mats together, or needles for sewing dog-skin mats. The skull might even be used as a water vessel for carrying water in for wetting the ovens.”
Elsdon Best, der orale Traditionen ;-) der Maori verschiedenster Gruppen gesammelt hat, berichtet im Teil 1 auf Seite 56 seines Hauptwerkes “The Maori” (1924) auch über Exhumierungen mit anschließender Anthropophagie. Seine Arbeiten zeichnen sich im Übrigen durch größte Sympathien für diese Ethnien aus.

Faktoit? Beweislastumkehr erforderlich?

Wo ist denn eigentlich Entfleischen mit gleichzeitigem Zerschlagen der Markknochen als Bestattungsritus eindeutig nachgewiesen?

Für mich sind Kannibalismus oder Entfleischen als Teil eines Bestattungsrituals bezogen auf die Herxheimer Funde prinzipiell gleichwertige Interpretationen, und wenn sich die Bißspuren an den Knochen erhärten lassen, mit starker Gewichtung zum erstgenannten.

Und Thomas, ich glaube nicht, das wir die Bandkeramiker unter Zugrundelegung heutiger Normen gegen etwas verteidigen müssen, das sie möglicherweise selbst gar nicht als Vorwurf empfunden hätten. Wissenschaft sollte ideologiefrei oder zumindest -vermeidend vorgehen.
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Beitragvon Fridolin » 11.12.2009 20:59

Ein „Hungerkannibalismus“ sei ausgeschlossen, sagte Zeeb-Lanz, die ein 13-köpfiges internationales Expertenteam zur Auswertung der Funde leitet. Anhand der Knochenfunde lasse sich weder das Verspeisen von Menschenfleisch beweisen, noch die These, dass die Toten aus rituellen Gründen entfleischt worden seien. Nicht mehr haltbar sei die Annahme, dass es sich bei den Funden um Sekundärbestattungen handelt. Mit dem Ritual hätten die Steinzeitmenschen möglicherweise die Götter zur Abwehr einer Gefahr angerufen.
Gegen Ende der Periode der Bandkeramik kamen nach Worten von Zeeb-Lanz weit verstreute Gemeinschaften in dem Steinzeitdorf bei Herxheim zusammen. In einem Zeitraum von rund 50 Jahren sei es möglicherweise auch zu rituellen Tötungen gekommen. Dabei wurden Leichen zerlegt, Knochen zertrümmert und diese mit Gefäßen sowie unbrauchbar gemachten Steinwerkzeugen in Gruben gelegt.

http://www.abendblatt.de/vermischtes/ar ... ismus.html

Auch nett:
"Herxheimer Allerlei"

http://www.faz.net/s/RubCD175863466D41B ... googlenews
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Beitragvon Blattspitze » 12.12.2009 13:16

Aus Fridolin`s link:
“Mit dem Ritual hätten die Steinzeitmenschen möglicherweise die Götter zur Abwehr einer Gefahr angerufen.” - ?
Befunde und Funde als “Rituell” zu interpretieren, ist natürlich auch mit großen Problemen verbunden, und was da so im Abendblatt steht, möchte man lieber von den Fachwissenschaftlern selbst formuliert lesen. Eine funktional / pragmatische Interpretation ist ja meist naheliegender. Bestände der Herxheimer Befund 9 aus Rinder- statt Menschenknochen mit den entsprechenden Spuren, so wäre sicher weniger Ritus denn Festessen im Fokus.

Heidi Peter-Röcher`s Standpunkt (Nur Hunger-Kannibalismus gab es sicher):
http://www.vfg.uni-wuerzburg.de/presse_ ... einblicke/

Ein weiterer Gegner:
http://www.cargo-zeitschrift.de/de/ausg ... on-janzing

Auch interessant:
http://www.literaturkritik.de/public/re ... ez_id=8267
Lateinamerika:
http://www.lateinamerika-studien.at/con ... e-724.html

Außer Armin Meiwes hat wohl kein jetzt lebender Mensch rituellen Kannibalismus mit eigenen Augen gesehen, es bleibt schwierig, ...

Mahlzeit !
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Beitragvon Joze » 12.12.2009 14:12

Ich denke auch so - der Thomas hat es gut erklärt und die anderen haben es auch. Darum war ich auch schon oben skeptisch. Ein "Beweis" oder Ein Autor, eine Tagung etc.... bedeutet noch nicht die seriösität und Regel für gesamte Bevölkerung. Ich nehme an, dass gewiss in Ausnahme Situationen wahrscheinlich Menschenfleisch gegessen wurde, aber das war nicht Regelk und alltägliche Praxis. Man muss schon punktlich und genauer denken&interpretieren.

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