Schneidersitz in der keltischen Kunst

"Kelten"

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Beitragvon magali » 09.03.2009 16:32

Thomas Trauner hat geschrieben:Genau, magali. Die Glaubergkanne ist das älteste Beispiel.

Die Reihenfolge wäre:
Glauberg- Entremont etc.- Fellbach/Schmiden-Cernunnos-Gundestrup

Ich denke oder befürchte, dass wir, wenn wir unbedingt Vorbilder für die Glaubergkanne bzw. einen Kanon entdecken wollen, südlich der Alpen gucken müssen.


Ich werde mich mal auch im Etruskischen und evtl. Magna-Grecia-Bereich umtun und schauen, was dabei rumkommt.

Thomas Trauner hat geschrieben:Ich weiß, dass es alles mögliche an Kannen, Pyxis (was ist da eigentlich die Mehrzahl ?).


Pyxiden :D


Thomas Trauner hat geschrieben:und sonstigen Metallgefäßen gibt, die mit Aufsätzen in Menschenform verziert sind, aber mir fällt halt keine Darstellung im Schneidersitz ein.


Mir faellt da spontan aber auch nichts ein... ich befuerchte, dass es da auch nichts gibt :?


Thomas Trauner hat geschrieben:Dass die aus Entremont etc. "Götter" darstellen, halte ich zwar für die häufigst genannte Erklärung, jedoch keineswegs für sicher. Eigentlich überhaupt nicht. Gar nicht.


Wie ist es deiner Meinung nach mit dem sog. Ahnenkult, da waeren wir ja fast wieder im heroisierten Bereich?!


Thomas Trauner hat geschrieben:Wir sollten nicht vergessen, dass die Glaubergstatue als Abbild des Bestatteten gilt. Oder der Hirschlandener.
Genauso sind ja auch die Vorbilder des Glaubergers und des Hirschlandeners, die Kuroi, ja keineswegs "Götter".


Die stehen aber auch ;)
magali
 

Beitragvon Thomas Trauner » 10.03.2009 10:15

?Wie ist es deiner Meinung nach mit dem sog. Ahnenkult, da waeren wir ja fast wieder im heroisierten Bereich?!?


Ich halte den ?Ahnenkult? für eine Unterstellung. Ich denke, es hat mehr mit der Assoziationsfähigkeit des oder der Ausgräber und Interpretatoren zu tun, als mit stichhaltigen und zwingenden Hinweisen im archäologischen Fundgut.
In der Hallstattzeit werden manchmal Stelen auf den Hügelgräbern aufgestellt, anfänglich nur einfache Steine, danach ?grob? menschenförmig.
Für Hirschlanden liegt eine Männerform vor, für den Glauberg drei (oder vier.)
Hirschlanden und Glauberg haben sicher die griechischen Kuroi, die selbst wieder auf ägyptischen Statuen zurückgehen, zum Vorbild. Der Kuroi in Griechenland dient nicht dem Ahnenkult.
Diese Stelen, vor allem die in?Kuroiform? sind sehr selten. Die allermeisten der Hügel haben keine. Sollte ein Ahnenkult vorliegen, müsste dies regelhafter der Fall sein.
Außerdem fehlen uns weitere Hinweise, denkbar wären ja Abbildungen, z.b. auf Situlen o.ä. Diese zeigen zwar Festivitäten, aber jeweils ohne Bestattungszeremonie. Außerdem findet sich auch nichts in den (späteren) Textquellen zu den Kelten in Sachen Ahnenkult.

Denkt man jedoch an die Traditionen und kulturellen Anleihen der Kelten, erklären sich die Stelen und zumindest Teile des Bestattungskultes leichter.
Am Ende der UK tauchen die ersten Wagengräber und Hügelgräber auf. Die Verbrennung der Leichen in Ha C steht sicher in UK-Tradition. Es besteht also ein Übergang, eine keineswegs plötzliche Veränderung.
Dass ab Ha D ?etruskisch/griechisch? wohl die Mode in der Keltike war, bringt wohl auch den ?griechischen? Stil in die Baukunst, siehe Heuneburg. Ergo wohl auch die Form und Ausführung der Statuen. Glauberg steht sicher noch in der Hallstatttradition, es handelt sich ja um eine riesige Grabanlage mit Körperbestattung. Ebenso sind ja in LT A noch Wagengräber vorhanden.
Dass Grabanlagen beeindruckend sein können, ohne dass im klassischen Sinne ein ?Ahnenkult? vorliegt, zeigen verschiedene Beispiele. Die Ehrung der Verstorbenen, der respektvolle Umgang und die Schaffung der Gelegenheit der Verstorbenen zu gedenken, ist nicht das, was man üblicherweise unter ?Ahnenkult? versteht. Im Kult sind die Ahnen ja für etwas zuständig, sie ?verursachen? im Diesseits ja noch etwas.
In Ha-Lt A sind die Toten so eindeutig für ein Leben im ?Jenseits? ausgestattet, dass sie ihre Rolle auch dort finden, nicht mehr im Diesseits.
Dem Hirschlandener und dem oder, besser, den Glaubergern würde ich zwanglos eine Denkmalsfunktion zuschreiben, jedoch sicher keinen Ahnenkult unterstellen.

Die Figuren von Entremont etc. zu bewerten, ist sicher schwierig. Wenn es die Glaubergkanne nicht gäbe, würde ich die Sitzhaltung tatsächlich mit handwerklichen Gründen begründen.
Ich denke, es sind männliche und weibliche ?Wächter? der Grabanlage oder tatsächlich sogar noch Denkmäler für einzelne Bestattete. Ihnen fehlt irgendein Attribut eines Gottes (wie soll man denn sonst erkennen, wer gemeint ist ?) aber auch irgendetwas, was das Individuum, den Ahnen erkennen lässt. Es sind jeweils Menschen im ?besten Alter? ausgestattet mit den geschlechts- und rollenspezifischen Merkmalen an Kleidung und Werkzeug/Waffen. Männer werden offenbar in dieser Zeit gerne in Leinenpanzern dargestellt, siehe Schwertgrab 994 in Hallstatt, siehe Glauberg.

Vielleicht sind die Grenzen zwischen Grabanlage, Denkmal und Ahnenkult ja fließend. Aber ?Ahnenkult? ist ein vor allem in der Ethnologie besetzter Begriff, der eben die Ahnen neben die Naturgötter stellt und ihnen eine Macht im Diesseits zubilligt.
Das geht für die Keltike m.E. viel zu weit.

Ob eine ?Heroisierung? stattfand, wage ich auch zu bezweifeln. Ich halte dieses Interpretationsmuster für eine Übertragung ?klassisch? vorgebildeter Wissenschaftler.
Sicher liegt sie nahe, auch bei heutigen Denkmäler wird der/die Dargestelle/r ja schnell zum Helden/zur Heldin.

Aber die Frage ist, ob die Kelten den Heldenbegriff für sich überhaupt kannten und, wenn ja, er sich in den Statuen manifestiert.
Ich denke nicht. Ich denke auch hier, dass die ?Kuroi? einfach nur modische Übernahmen sind. Kuroi sind auch keine ?Heroen?. Es sind einfach nur schöne, junge Männer...

Auch die phallische Darstellung am Hirschlandener muss keine wirkliche ? Bedeutung? haben, ausser der, dass, der Kuroi-Darstellung folgend, das primäre Geschlechtsmerkmal mit dargestellt wird. Da das Material keine wirklich dreidimensionale Darstellung wie am Kuroi möglich macht, bleibt nur die Darstellung im Flachrelief. Und dann halt eindeutig.
Die Unterstellung der ?heroischen? Nacktheit ist nicht weiter als eine Vorstellung des 19.Jh. Die Griechen hatte halt einfach nicht die Scheu Menschen in der Kunst nackt zu zeigen. Sie waren in der Kunst halt auf der Suche nach dem ?Schönen?, nach dem ?Idealbild?.

Zusammenfassend:
Es liegt m.E. nur eine Übernahme etruskisch/griechischer Darstellungsform vor. Keine Übernahme oder gar eigene Erfindung irgendeiner Bedeutung.
Ahnenkult ist nur eine Assoziation anhand der Statuen, die sonstigen Bestattungsmuster deuten keineswegs darauf hin.
Ähnlich wie bei den Situlen werden bei den Statuen großgriechische Darstellungsform und keltische Details vermischt.

Thomas


PS: Es gibt da z.b. auch eine Schule, die in den Darstellungen von fliegenden Vögeln auf Situlen gar eine Übernahme des Adlers und damit des "Zeus" in der Keltike sieht. Ich halte das für blanken Unsinn. Diese Vögel sehen erstens eher aus wie Raben und tauchen als Füllmaterial für leere Flächen auch auf etruskischen Grabgemälden auf.
Die Löwen auf dem Hochdorfer Kessel bedeuten ja auch nicht, dass der Hochdorfer Verbindung mit Asien/Afrika hatte oder sich gar einen Zoo hielt.....
Thomas Trauner
 

Beitragvon magali » 10.03.2009 10:23

Vielen Dank für die ausführliche Antwort!!!!


[quote=Thomas Trauner]Die Löwen auf dem Hochdorfer Kessel bedeuten ja auch nicht, dass der Hochdorfer Verbindung mit Asien/Afrika hatte oder sich gar einen Zoo hielt.....

:mammut2:
magali
 

Hm....

Beitragvon Joze » 10.03.2009 15:11

Hallo!
Kann auch eigentlich zu Mehrheit von allen Gedanken eine Zustimmung sagen. Vor allem die Zusammenfassung bestättigt auch meine Standpunkte&Zitate oben (nicht neues).
Doch gibt's noch dazwischen einige Punkte, die möchte noch weiter entfalten und: Es waren in Keltike ja offiziell allgemeine Menschen-Vorstellungen&Vorstellungen über den Menschen wesentlich anders, als bei den Griechen. Waren die Kelten genauso "die Humanisten" mit kosmologisch gleichen und philosophisch gleichen Vorstellungen über Menschen&Dassein (klasische Onthologie)? Hatten die Kelten ihre Chronisten genauso wie die Grichen gehabt? Hatten die genauso aus Ursprungsmythen (in Vergleich in Vorsokrathische Philosophie) "moderene" Wissenschaftliche Methoden bzw. Wissenschaft entwickelt? Welche Quellen haben wir dafür/darüber? (sic!)
Habe nur einige wesentliche Unterschiede hingewiesen und betone: dass aufgrund breiten Analogien (oder Unterschiede) - nicht alls aller letztes schon durch allgemeine Gesellschaftliche-Struktur bedingte - doch nicht so einfach ist, Ahnenkult/Heroen gleich in keltischen Raum und in Griechischen zu interpretieren. Wenn ich richtig verstanden habe - sollen die Kuroi in Griechenland kein "Heroischen-Kult bzw. Verehrung" beweisen. Sage es so: wenn in berühmten griechischen Epen (?) - Geschichten die Helden beschrieben wurden, warum wurden die auch nicht in Bildender Kunst nicht abgebildet?
Und wie "vermischt" ist in Griechische Kosmologie schon seit ältesten Anfängen an (Prometeus als Beispiel, Herakles, etc...) die "gottliche" und "irdische" Ebene: die Helden dürfen manchmal sogar den Symposium auf Olympus "teilnehmen" oder die werden "aufgrund ihren "grossen" Werken" "Götter."
Was sagt alles das? (sic!)
Ich glaube - dass für Griechen ein "Helden" Kult offiziel ganz normal und verbreitet/bekannt war und dass auch die Kuroi zum gleichem Thema gehören.
Wozu dann alle kanonnische Shematisierungen von denen, wenn die " nur einen einfachen Mensch" darstellen? (sic!)

In Keltike kennen wir aufgrund Quellen natürlich ganz andere Funde/Beispiele. Dafür gibt's keinen Wiederspruch.

Doch ist aber wieder nicht so einfach keltische und griechische Kosmologie (oder Religion oder Kultur oder Gesellscheft, was auch immer) in ihre Merkmale vergleichen oder sagen: es gibt keine Beweise über Ahnenkult bei den Kelten.
Kennen wir denn alle Beweise?
Wenn "Terminus" eher aus dem Bereich Ethnologie kommt - dann suchen wir die Beweise auch "dort...." Volksglaube? Ritten? Geschichte von beiden? Wie gut kennt ihr denn unsere keltische Götter-Statuen (Norikum), keltische Weihaltäre, dann vermischte keltisch-römische Hausaltäre, die sind als Funde bekannt und die habe ich schon so oft erwähnt und die konkrete Ausstellung darüber die war erst in Klagenfurt und letztes jahr in Museum Celje, habe auch schon oft zitiert.

Möchte damit keine Kritik geben.
Möchte nur sagen - dass letzte Schlüsse zu ziehen nicht so einfach ist, vor allem, wenn man so behauptet: es gibt keine Beweise, so gibts auch "Fakten" nicht. Das Hauptproblem ist es, dass man manchmal die Beweise überhaupt (noch) nicht kennt, oder will die nicht kennen oder wahrgenommen.
Und manchmal muss man nach interdisciplinaren Bereiche greiffen (sage aber nicht: nichtwissenschaftliche -fragliche Methoden) - Archäologie hat ja doch noch einige "Subdisciplinen" - oder sitzt die "absoluhtistisch" auf einem Thron? (sic!)
Und habe genauso schon zitiert die bekannte Hochdörfer-Hermeneutische Erklärungsversuche, die haben (so habe gelesen) viel bessere und kompleksere Einsichte&Erklärungen über Hochdörfen Funden gebracht, als nur "reine klasisch naturwissenschaftliche Methoden." Ich sage immer: beide Betrachtungs&Arbeits Bereiche sind bedeutend und nützlich! (wenn ich mich nicht Irre - gehen auch moderne aktuelle Archäeotagungen immer mehr in der Richtung nach objektiven, optimalen Interpretations-Versuche, vgl. die nächste Tagung auf Dürrnberg).
Manchmal ist entscheidenste Grund für eine Skepsis (und damit auch für "keine" Beweise!) nur unser (moderne) Verstand. Skepsis ja - wenn wissenschaftlich bedingt ist und nur so ist die auch legitim. Skepsis als letzte Sinn unseren "Arbeits-zugang/Wissenschaftlichen Zugang) - nö, (will nicht dumm bleiben, so für mich) - finde sehr gefährlich und nicht konstruktiv!

Das wäre meine Antwort zur "keltische" Interpretation aus unseren "klasisch-bedingten Orientierungspunkt" (oder Punkte) - die zu machen ist vielleicht (uns heute) noch schwerer, wenn man so oberflächlich (und unhistorisch) denkt.


Gruss!

Joze
Joze
 

DAS RÄTSEL DER KELTEN (Buch)

Beitragvon Joze » 07.04.2009 08:19

Hallo Magali!

Dein Thema wurde ausführlich und gut diskutiert im Buch: Das Rätsel der Kelten vom Glauberg, Theiss 2002. Gibt's dazu konkrete Kapitel mit ganz gleichen Themen und Stellungen, die hier genannt wurden - Ahnenkult, Vergleiche mit griechischen Kuroi und speziell dessen Bedeutung, etc... und sogar manche meinen Thesen von oben sind dortdrin auch zu finden - über Heroischen + Aristokratischen + Sportlichen Karakter von Kuroi bzw. Griechischen Stellungen zur Mensch - was ich jedenfalls aus meiner klasschischen Ausbildung kenne.
Doch ist eine andere Statue als Beispiel für griechische Einflüsse ins Keltike als mehr relevant genannt und nicht die sitzzende in Schneidersitz.

Gruss, Jo¸e
Joze
 

Beitragvon magali » 07.04.2009 10:29

Danke lieber Joze, ich schaue mal, ob ich hier an das Buch rankomme.
:)
magali
 

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