von Stefan Deuble » 24.01.2007 12:52
Also, Tacitus schreibt in der Germania (Kapitel VI):
Auch an Eisen gibt es keinen Überfluss, wie sich aus der Art ihrer Bewaffnung schließen läßt. Nur vereinzelt haben sie Schwerter (gladiis) oder größere Lanzen (lanceis) in Gebrauch; sie führen Speere (hastas) oder - mit einem Wort ihrer Sprache - Framen (frameas) mit einer schmalen, kurzen, aber so scharfen und zweckdienlichen Eisenspitze, daß sie ein und dieselbe Waffe je nach den taktischen Erfordernissen im Nah- und Fernkampf einsetzen können...
In den Annalen schreibt Tacitus (ann. 2,21) :
Nicht geringerer Mut beseelte die Germanen, aber sie waren durch ihre Kampfweise und die Art ihrer Waffen unterlegen: die gewaltigen Menschenmasse konnte auf dem engen Raum die überlangen Lanzen (praelongas hastas) nicht vorstoßen, nicht zurückziehen noch zum Anspringen ihre körperliche Wendigkeit ausnützen, da sie zu eienm Kampf auf der Stelle gezwungen waren.
Der selbe Zeuge benützt das Wort "hasta" für die Framen, die er eindeutig von größeren "lanceis" unterscheidet, in einem anderen Text verwendet er für einen überlangen und hinderlichen Spieß.
Die beiden Übersetzer entscheiden sich nach ihrem Gusto, ob sie hasta als "Lanze" oder "Speer" übersetzen. Wissenschaft schreibt gerne ab, kaum einer übersetzt die Quellen neu. Wir haben also in der Behandlung von Schriftquellen schon mehrere Unschärfen: Realität --> Tacitus --> verschiedene moderne Übersetzer --> Weiterbearbeitung auf Basis der Übersetzungen.
Der Archäologe verwendet die Ausdrücke "Lanze" und "Speer" - sicher über intuitiven Sprachgebrauch mit der modernen Belegung von "Lanze" und "Speer" verknüpft - erstmal, um die verschiedenen Spitzen zu sortieren, die er in einem bestimmten Fundgebiet eben gefunden hat. Wenn es da also kleine und große Spitzen gibt, wird er mit den beiden Begriffen kleine und große unterscheiden. Wenn es welche mit Haken und welche ohne Widerhaken gibt, dann wird er diese zwei Gattungen mit "Lanze" und "Speer" trennen. Gäbe es nur eine Sorte, dann würde er sich für einen Ausdruck entscheiden oder die Begriffe mischen. Es sei denn, daß er sich dazu entscheidet, seine Funde in das bereits vorhandene System einer anderen Arbeit einzuordnen.
Fundgut --> Klassifizierung --> intuitiver Sprachgebrauch.
Wieder zwei Stellen, die Unschärfe verursachen können.
Dann kommt noch dazu, was eigentlich die Grundlage für unsere und des Archäologen intuitive Belegung der Wörter "Lanze" und "Speer" ist. Da kommen jetzt Rittergeschichten, Sagen, Hollywood ins Spiel, wo wir mal gelernt haben, daß die Lanze die Waffe des gepanzerten Ritters ist. Aus dem Sportunterricht und Olympia wissen wir zu 100 %, daß Speere geworfen werden, schließlich ist das eine Disziplin.
Durch spätere Beschäftigung, sei es Studium oder das, was wir hier gemeinsam haben, kommen dann Ausdrücke aus Populärliteratur und Virtinenbeschriftungen dazu, die aber ihrerseits schon an allen beschriebenen Unschärfefaktoren leiden. Und wir mittendrin, selbst ein Artikel wie dieses Posting verändert wieder bei dem einen oder anderen einen Bruchteil seines intuitiven Sprachgebrauchs.
Das ist das blöde bei der kybernetischem Denke: das Objekt verschwindet fast unter der Vielzahl der wechselwirkenden Einflüsse. Ich halte das auch lieber im Hintergrund, überspitzt ausgedrückt: lieber ein fehlerhaftes Modell als gar keins.
Persönlich macht es mir weniger Schmerzen, einen Spieß zum Werfen als "Wurfspeer" zu bezeichnen und einen Spieß zum Stoßen und Festhalten als "Stoßlanze", die vier Buchstaben habe ich übrig und ich nagele damit keine unsicheren Faktoide fest. Und einen Spieß mit Widerhaken würde ich als Widerhakenspeer bezeichnen, warum nicht? Oder Hakenspeer ? Oder Widerhakenlanze ???
Wenn ich aber eine kleinere Lanzenspitze aus Illerup (ohne Widerhaken, aber klein und fein) an einen dazu passenden kurzen dünnen Schaft montiere dann habe aus einer Lanze - definiert durch die Hakenlosigkeit - im Selbstbau einen Speer - definiert durch die Wurfeignung - hergestellt. Sowas kann ich doch nicht ignorieren und unkommentiert als gesicherten Begriff verwenden.
In meinem intuitiven Sprachgebrauch besitze ich zwei Speere, die vielleicht der ersten Beschreibung von Tacitus entsprechen, mehrere Wurfspeere, die deutlich kleiner sind, und eine Fahnenlanze (praelonga hasta) die sich dadurch auszeichnet, daß sie zum Werfen nicht geeignet ist und eine Fahne trägt. Ohne Fahne würde ich sie aus dem Bauch immer noch als Speer bezeichnen, weil für mich der Begriff Lanze mit der typischen Waffe des romantischen Ritterbildes verknüpft ist. Also das, was Ivanhoe und Konsorten bei der Tjoste splittern lassen. Aber so langsam sickert in mein Bauchgefühl - durch die Beschäftigung mit Frühgeschichte und Archäologie - die Definition "unwerfbar" für "Lanze" ein, was die Bezeichnung von Nachbauten angeht. Aber in Fundberichten beschriebene Spitzen folgen eindeutig anderen Kriterien.
Um den Bogen zur Bewaffnung zurück zu finden: die Frame wird also bei Tacitus beschrieben und mit dem Wort Framea als einheimischem Ausdruck verbunden. Gut. Was ist mit dem Ger? Weiß da jemand eine Quelle?
Grüße,
Stefan der verworrene