Neue Eiszeitflöte gefunden

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Neue Eiszeitflöte gefunden

Beitragvon ulfr » 24.06.2009 13:27

Schon wieder wird ein Sensationsfund aus Tübingen gemeldet. In 2008 haben Mitarbeiter des Instituts für Ur- und Frühgeschichte bei Ausgrabungen im Hohle Fels bei Schelklingen eine weitere Knochenflöte entdeckt. Es ist das vierte Exemplar einer Serie von Instrumenten, die in den Höhlen des Achtals gefunden wurden. Sie werden in das Aurignacien (GH 7 AH Va) datiert und sind damit ca. 35.000 Jahre alt, d.h. von der schwäbischen Alb liegen uns die vier bislang ältesten Musikinstrumente der Welt vor.
Der Erhaltungszustand der neuen Flöte ist erstaunlich gut, sie wurde aus 12 Einzelteilen zusammengesetzt. Das Besondere ist: die Flöte weist fünf Grifflöcher auf, vier erhaltene und ein halbes, und zum ersten Mal scheint es so, als ob das Mundstück erhalten ist. Dazu wurde ein Ende der Flöte abgeschrägt, so dass sich ein gekerbter scharfer Rand ergibt.

Bild
Ein Abguss des Originals

Im Winter 2008 wurde ich von der Uni Tübingen beauftragt, eine Rekonstruktion der Flöte anzufertigen, um Instrumentcharakter und Spielbarkeit zu überprüfen. Es stellte sich als sehr schwierig heraus, einen geeigneten Knochen zu beschaffen, das Original ist sehr wahrscheinlich aus der Speiche eines Gänsegeiers angefertigt. Schließlich gelang es mir, einen Knochen zu besorgen, der annähernd die Maße des Originals aufweist, aber etwas zu groß ist.
Die Herstellung der Replik war wie gewohnt einfach. Der Knochen wird mit einer Flintklinge abgelängt, dann werden die Grifflöcher eingeschnitten, auch eine Besonderheit der Achtalflöten. Im Gegensatz beispielsweise der Grubgrabenflöte sind die Grifflöcher nicht senkrecht in den Korpus gebohrt, sondern mit einer Feuersteinklinge flach eingeschnitten.

Bild
Einschneiden der Grifflöcher

Seltsam sind auch hier wieder quer eingeschnittene kleine Kerben neben den Grifflöchern, wie sie auch schon bei der Geißenklösterle-Flöte beobachtet wurden. Die Funktion dieser Kerben ist noch unklar.
Erstaunlich ist die Fülle von Klängen, die der Nachbau hervorbringt. Ich spiele ihn als Schrägflöte, nach Art der orientalischen Nay, so wie auch der Altmeister der Paläomusik, Fritz Seeberger seine Rekonstruktionen anblies. Durch die fünf Grifflöcher und Überblasen lassen sich sehr viele Töne erzeugen, die klar und laut erklingen. In einer Albhöhle mit einer guten Akustik wie dem Hohle Fels dürfte Flötenspiel, evtl. zusammen mit Schwirrgeräten und vielleicht sogar Trommeln ein ganz besonderes Erlebnis gewesen sein.

Bild
Die Rekonstruktion

Und jetzt muss ich noch ganz viel üben, denn von Tuten und Blasen hab ich eigentlich keine Ahnung, meins sind mehr die Saiteninstrumente.

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Beitragvon Steve Lenz » 24.06.2009 13:32

Ist das der Knochen, den Du von mir bekommen hast? Schickes Ding!

Sobald ich meinen Knochen wiederhabe versuche ich das auch mal - ab diesem Zeitpunkt werden dann ständig die Nachbarn mit Heugabeln und Fackeln vor unserem Haus stehen...
Aus den Augen - aus dem Sinn.
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Beitragvon LS » 24.06.2009 14:00

Hallo, ist ja n echter Newsticker hier...
Inzwischen hab ich auch schon einen Zeitungsartikel dazu gefunden:
http://www.faz.net/s/Rub2542FB5D98194DA ... rss_wissen

Gruß Leif.
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Beitragvon Joze » 24.06.2009 14:17

Ja super ist es!! Respect! Ja, man kann richtige Lieder spielen /zu CD Musik sagten die 5 J. Kinder aus De die sind auf Besuch: 'diese Musik ist hell'/
Joze
 

Beitragvon Thomas Trauner » 24.06.2009 16:01

Sehr schöner Fund.
Und ich glaube, dass ist das erste mal, dass gleichzeitig mit dem öffentlich Bekanntwerden des Fundes die Rekonstruktion vorliegt.
Klasse.
Tolle Arbeit, Wulf.

Viel zum Spekulieren gibt es hier ja nicht.
Jedenfalls berührt ein solcher Fund doch ein wenig. Wenigstens eine kleine Nachricht über Schönheit und Muse....ausser jemand macht das jetzt zum Beleg für Schamanismus, oder sowas....

Nochmal: toller Fund, tolle Arbeit.

Thomas

Edit: Entsprechen die Abstände der Löcher irgendeinem musikalischem Maß ? Gleicht sie dahingehend einer modernen Flöte ?
Bitte keine komplizierten musikalischen Antworten. Ich versteh von Musik soviel wie die sprichwörtliche Kuh vom Flötenspielen....
Thomas Trauner
 

Gänsegeier?

Beitragvon hunasiensis » 24.06.2009 18:46

Gänsegeier? Gab's die damals oder ist das der erste Gänsegeierbeleg für die Zeit?

Mit Thomas frage ich mich, inwieweit die Loch/Tonabstände harmonisch sind. Was weist auf das Mundstück hin?

Arne
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Beitragvon ulfr » 24.06.2009 19:02

Gänsegeier ist soweit ich weiß aus dem Geißenklösterle nachgewiesen, müsste ich aber nachschauen bzw, fragen.
Die Abstände sind so gelegt, dass sich zueinander passende Töne ergeben, wobei es bei Schrägflöten so ist, dass man den Ton modulieren kann. Im Prinzip sind also eine Unmenge Töne möglich, und man kann sie in gewisser Weise aufeinander abstimmen. So klingt die Flöte melodisch oder nicht, je nachdem wie man will.
Töne kommen wohl morgen auf nature, zumindest habe ich Aufnahmen gemacht, mehr schlecht als recht mit Bordmitteln. Ansonsten schicke ich Interessierten gern die .wav, werde aber in den nächsten Tagen nach Absprache mit Tübingen ein Video auf utube einstellen.
Der Knochen ist ein anderer, Steve.

Töne unter http://static2.orf.at/vietnam2/files/sc ... _72262.wav

in diesem Artikel http://science.orf.at/science/news/156131
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Beitragvon LS » 24.06.2009 20:28

Jo, Gänsegeier (Gyps fulvus) scheint im Knochenmaterial belegt zu sein. Wusste ich auch nicht auswendig, steht aber hier in der offiziellen Pressemitteilung, die ich gerade gefunden habe.
http://idw-online.de/pages/de/news322462

Bin gespannt auf den Artikel in Nature, dürfte wohl morgen dann zu haben sein. Schätze da steht dann wieder ne ganz schräge Nebentheorie drin, die man hier schon aus der Pressemitteilung erahnen kann:

"Das Vorhandensein von Musik im Leben jungpaläolithischer Völkergruppen bewirkte nicht unmittelbar eine effektivere Bedarfsdeckung und einen höheren Reproduktionserfolg, aber Musik scheint zu einer Verbesserung des sozialen Zusammenhalts und zu neuen Formen der Kommunikation beigetragen zu haben, die indirekt eine Bevölkerungsexpansion moderner Menschen auf Kosten der kulturell konservativeren Neandertaler unterstützt haben." (O-Ton N. Conard)

Musik macht sexy oder watt...? Hä...?
Muss mich mal wieder sehr wundern, was Herr Conard da so in die Welt setzt, zumal inzwischen ja klar ist, dass die letzten Neandertaler-Daten nicht so jung ausfallen können, dass von einer aktiven Verdrängung die Rede sein könnte.
Also Leute, ich sage nur mittelschwere Obacht... (Und Spruch siehe unten).
Gruß L.
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Beitragvon Fridolin » 24.06.2009 21:18

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Beitragvon Hans T. » 24.06.2009 22:51

Und schon ist klar, dass sie auch getanzt haben..... :oops:
"Des is wia bei jeda Wissenschaft, am Schluß stellt sich dann heraus, daß alles ganz anders war."
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Beitragvon LS » 25.06.2009 10:57

Hallo,
insgesamt wirklich spannend. Habe mal die sämtlichen nun vorliegenden Flöten des Aurignacien zusammengefasst, für alle die den Nature-Aufsatz nicht komplett vorliegen haben:
http://de.wikipedia.org/wiki/Aurignacie ... _Elfenbein

Nachtrag zu gestern abend: Der lustige Satz von NJC steht wie vermutet auch in der Nature-Publikation, dort als allerletzter.
+++Vielleicht konnten die Neandertaler ja viel besser singen...? Oder doch zumindest viel lauter, mit ihren kräftigen Brustkörben...:-)+++

Soviel meinerseits zum Thema sozialen Netzwerke,
Leif.
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Beitragvon hunasiensis » 25.06.2009 18:36

Musik macht sexy; das wusste schon der alte Darwin. Siehe heutigen Beitrag in der Zeit, den ich allerdings zu reißerisch finde:

http://www.zeit.de/2009/27/Entstehung-Musik


Danke, Leif, für die Zusammenfassung der Flöten in WP.
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Beitragvon LS » 26.06.2009 09:43

Mann Wulf,
gratuliere noch zu dem schönen Ständchen, das Du da für Nature & Co geträllert hast. Habe ich jetzt erst bemerkt. Bist doch immer wieder für eine Überraschung gut...

Herzl Gr Leif.
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Beitragvon ulfr » 26.06.2009 10:17

Danke , Leif, wobei ich ja nun nicht der Meister im Tuten und Blasen bin, wie Du weißt, liegen mir die gezupften Instrumente mehr. Ich bitte auch darum dieses Liedchen nicht als "DEN sound der Flöte" anzusehen, denn wie gesagt sind meine Fähigkeiten in diesem Fall eher rudimentär. Aber ich hab mir Mühe gegeben. Fritz Seeberger hätte, würde er noch leben, der Flöte sicherlich eine Kaskade von Tönen entlockt. Ich werde in der nächsten Zeit Kontakt zu Profi-Flötisten aufnehmen bzw. habe das schon arrangiert, so dass wir in nächster Zeit hoffentlich einiges zu hören kriegen werden.
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Beitragvon Trebron » 26.06.2009 10:27

Wo bekäme ich einen Knochen her, aus dem ich auch so eine Flöte basteln kann ?
Möchte keinen Schwan abmurksen und Gänsegeier sind recht selten hier :D

Pleitegeier zwar häufig, aber nicht zu gebrauchen

Trebron
Wer nur zurück schaut, sieht nicht was auf ihn zu kommt
Uff pälzisch: wä blos zurigg guggt, sieht net was uff`ne zukummd
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