von Thomas Trauner » 28.02.2006 14:42
Sehr geehrter Vorsitzender, sehr geehrte Beisitzer, sehr geehrte Damen und Herren der Verteidigung, sehr geehrte Forums-Geschworene,
uns liegt einer der wichtigsten Fälle der vormetallzeitlichen Verfahren der letzten Zeit vor.
Die Frage, meine sehr verehrten Anwesenden, ist.....
Haben sich die Neolithiker, in deren Abwesenheit hier verhandelt wird, schuldig gemacht ?
Sind sie schuldig der vorsätzlichen und planvollen Herstellung, Verbreitung und Verwendung von aus vegetatiblen oder tierischen Fasern gewebten Kleidungsstücken ?
Sind sie es ? Meine Damen und Herren...sie sind es. Sie sind schuldig. Schuldig wie man nur sein kann.
Sie hatten die Mittel, sie hatten die Gelegenheit, sie hatten das Motiv.
Schuldig, schuldig, schuldig.
Beweise, werden sie fragen. Nun, Beweise........ich gebe zu, das Corpus delicti liegt dem Gericht nicht vor. Aber sollte es ? Kann man das nach der langen Zeitspanne der Tat, besser der TATEN noch erwarten ? Wir wissen alle, nicht zuletzt aufgrund der unter wissenschaftlichen Beobachtung stattgefundenen Experimente zur Dekomposition von menschlichen, tierischen und vegetatiblen Geweben des FBI in Virginia, USA, den sogenannten ?Potters-field-experiments? sowie der Beobachtungen aus den zahllosen Grabungstätigkeiten aus dem Fachbereich der Archäologie, die immer wieder gezeigt haben, dass sich solche Gewebe nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen über einen längeren Zeitraum erhalten. Vollständige Erhaltungen liegen nur in extrem wenigen Fällen vor, konkret bekannt sind lediglich einige wenige Fälle aus Dänemark und dem Alpengebiet. Aber diese Fälle liegen alle um 1000 bis 2000 Jahre nach der hier angeklagten Serientäterschaft der Neolithiker. Die Umstände, die zu deren Erhaltung führten, sind zum Teil noch nicht vollständig geklärt, sie sind in jedem Fall außergewöhnlich. So außergewöhnlich, dass sie unseren Fall nicht beeinflussen können und sollen.
Es ist absurd, hier den ermittelten Behörden eine Aufgabe zu stellen, nämlich die Sicherstellung eines komplett erhaltenen Kleidungsstückes, die in einem solchen Zusammenhang in ähnlichen Ermittlungsverfahren gegen die Bronzezeitlern, deren Cousins, den UK-lern und deren in mafiaähnlicher Struktur verwandten Eisenzeitlern noch nie gestellt wurden.
Es ist, wie in den vorgenannten Verfahren, ein Indizienprozess.
Indizien. Indizien, meine Damen und Herren, sind Hinweise. Sie sind, da gebe ich den Damen und Herren der Verteidigung völlig recht, nie Beweise. Aber solche Hinweise, solche Indizien können erdrückend sein. Sehr erdrückend sogar.
Wie in diesem, unserem Fall.
Hatten sie die Mittel ? Ja, eindeutig. Es liegen Tatwerkzeuge vor. Werkzeuge, die in allen anderen bekannten Fällen immer nur ein Ziel hatten. Die serienmäßige Herstellung von Geweben. Hatten sie außer den Werkzeugen Rohstoffe ? Ja. Nicht einmal selten. Es wird auch von der Verteidigung nicht bestritten, dass sie diese Rohstoffe sogar geplant und vorsätzlich herstellten.
Hatten sie die Gelegenheit. ? Ja, eindeutig. Arbeitsteilige Gesellschaft, gute Informationswege, vernünftige Zeiteinteilung dieser Gesellschaft stehen nicht in Abrede. Das sie webten, wird auch nicht in Abrede gestellt.
Hatten Sie ein Motiv ? Ja, eindeutig.
Es wird auch von Seiten der Verteidigung nicht in Abrede gestellt, dass ?Kleidung? ein Bedarf dieser Gesellschaft, oder sollte man nicht sogar sagen, dieser Gruppe, ja sogar dieser Bande war.
Nun- die Gegenseite wirft ein, dieses Motiv führte nicht automatisch zur Verwendung von gewebten Stoffen als Grundlage für Kleidung.
Sie bestreitet weder die Mittel noch die Gelegenheit. Sie bestreitet ein Motiv.
Aber, meine Damen und Herren, meine sehr verehrten Anwesenden....
Auf Dummheit und Unzurechnungsfähigkeit der Beklagten zu plädieren ist eine Sache, es ist das gute Recht der Verteidigung. Aber es auf die Spitze zu treiben, ist eine andere.
Wieso um Himmelswillen, sollte die durchschnittliche Neolithikerin, der durchschnittliche Neolithiker NICHT auf die Idee kommen, Stoffe, die sie hatten, nicht auch als Kleidung zu nutzen ?
Warum, frage ich sie ? Ist es ernsthaft anzunehmen, dass die Beklagten Herstellungsverfahren entwickelten, Rohstoffe beschafften, um dann im allerletzten Moment die Tat nicht zu vollziehen ?
Welche Theorie soll das denn stützen ? Dürfen wir überhaupt eine Solche Theorie, wenn sie denn ausgesprochen würde, verwenden ?
Nun, wir stehen alle auf den Schultern des großen Theorie-Theoretikers Meister Ockham.
Er sagte zurecht, die einfache Lösung ist zu bevorzugen. Er sagte, man sollte keine zweite Theorie konstruieren, um die erste zu stützen.
Ja ? meine lieben Zuhörerinnen und Zuhörer. Genau das tut die Verteidigung.
Sie fordert eine zusätzliche Theorie über die Nichterkenntnis der Verwendungsfähigkeit von Stoffen zur Kleiderherstellung um ihre Theorie der Verwendung von Tierhäuten als Kleidung zu stützen.
Tierhäuten, einfach so, ohne Beleg für die regelhafte Bewirtschaftung und Herstellung. Tierhäute, na ja, warum nicht. Warum keine Blätter ? Wie wär es mit Papier, das sie aus alten Lumpen (die hatten sie ja !) herstellten ? Gras ? Ja ?Gras ! Eine Decke, ein paar Hüte und ein paar Sandalen hätten wir ja...
Nein, meine Damen und Herren. Es geht hier nicht um die Auflistung eventueller, denkbarer zusätzlicher Stoffe.
Es geht um die Theorie, welche belegen soll, dass die Neolithiker hier nicht auf das Naheliegende gekommen sein sollen. Diese Theorie fehlt. Und selbst wenn sie formuliert würde, ist sie nötig, ist sie sinnvoll ? Vielleicht ethische oder moralische oder gar religiöse Gründe ? Vielleicht hatte das Gehirn des Neolithikers einen Webfehler ?
Ist der Fußabdruck im Schnee des Himalaya ein Yeti oder doch nur eine Ziege ? Es ist eine Ziege. Muss ich eine besonderes Tier fordern um diesen Abdruck zu erklären ? Muss ich nicht. Auch die Verteidigung nicht.
Muss ich umständlich sämtliche bildlichen Darstellungen von den Figurinen der LBK, über die Mittel/jungneolithischen Darstellungen aus Serbien bis zu den Stelen des Endneolithikums der Schweiz auf Leder umdeuten ? Gut ? könnte ich. Die Kunst und die Wissenschaft ist frei. Aber was fordere ich dabei ? Eine zusätzliche Theorie. Die der Nichterkenntnis.
Also noch mal ? Was um Himmelswillen soll die Neolithiker davon abgehalten haben, zu entdecken, dass Stoffe wärmen, dass sie aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen, dass sie zu färben waren, dass sie nicht teuer mit für Menschen viel besser geeigneten Nahrungsmitteln erkauft werden müssen ? Das jedes Jahr mehr als genug Rohstoffe zur Herstellung des neuesten chiques zur Verfügung standen ?
Wir sollten das Verfahren mit Ockhams Rasiermesser abkürzen.
Wenn etwas aussieht wie eine Ente, fliegt, schwimmt und schnattert wie ein Ente, ist es eine Ente. Und manchmal, so sagte Freud, ist eine Zigarre einfach eine Zigarre.
Fordern wir den Ermittlungsbehörden in diesem Fall nicht mehr ab, wie in anderen Fällen. Indirekte Hinweise haben schon in ganz anderen Fällen zu einem dichten Netz an Indizien geführt, in dem sich die Angeklagten verstrickten.
Sprechen wir sie schuldig. Belasten wir das hohe Gericht und die Aufmerksamkeit der Geschworenen nicht weiter. Lassen wir Ötzi in Frieden ruhen und die Webgewichte auch.
Beenden Sie, sehr verehrte Geschworene, diesen Prozess mit einem Schuldspruch.
Schuldig der gewerbsmäßigen Herstellung, Verbreitung und Verwendung von gewebter Kleidung. Schuldig.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Thomas Trauner
Anwaltskammer Arbon-Bleiche IV
hier auch in der Sache zuständig für Irgenhausen, Federsee u.a.