Massaker von Talheim

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Massaker von Talheim

Beitragvon Fridolin » 03.06.2008 10:07

MASSAKER VON TALHEIM
Mordende Steinzeitmenschen wollten Frauen rauben
Es war ein heimtückischer Mord: Vor 7000 Jahren mussten 34 Menschen im schwäbischen Neckartal sterben, aus bislang unbekannten Gründen. Nun haben Wissenschaftler den Steinzeit-Mord aufgeklärt. Das Motiv waren Frauen.


http://www.spiegel.de/wissenschaft/mens ... 25,00.html

oder auch hier:
http://www.wissenschaft.de/wissenschaft ... 91899.html


PS: Mir ist unbegreiflich, wie man von den Ergebnissen der (nicht ganz unumstrittenen) Sr-Isotopenanalyse auf einen Frauenraub schließen kann!
Es lebe die deutsch-bandkeramische Freundschaft!
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Beitragvon Thomas Trauner » 03.06.2008 10:35

Na ja, ist schon ein zusätzlicher, wichtiger Mosaikstein. Nicht nur über diesen Massenmordfall, sondern insgesamt vielleicht auch für die späte LBK..
Die Schlußfolgerung ist halt ein wenig schnell, aber das ist halt mal wieder der Druck, der durch die Presse entsteht.
Die behinderte Dame (eines der Frauenskelette zeigt ja massive Behinderungen am Gehapparat) zu den Angreifern zu rechnen, ist sicher nicht richtig. Deshalb gehe ich von einer schnellen Antwort für insistierente Presseleute aus.

Fridolin - was ist an der Sr-Isotopenanalyse bedenklich ? Ich weiß, außer den Berichten, gar nix drüber.

Thomas
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Beitragvon Nika E.S. » 03.06.2008 10:37

Den wollt ich auch grad posten, bin aber auch skeptisch.
Selbst wenn die Untersuchungsergebnisse wirklich genau sind und keine Verwechslungen zuließen (was ja nach wie vor einer der Kritikpunkte an der Methode ist), dann gibt es da immer noch die 'andere Gruppe' deren Frauen offenbar nicht geraubt sind...
Ich erinnere mich vage an andere Anthropologische Untersuchungen und die Argumentation verschiedener Verwandtschaftsstrukturen anhand morphologischer Merkmale wie diverse Schädelnähte soweit ich weiß, die zumindest die bestätigt, daß es unterschiedliche Familien waren, und die unterschiedliche Abrasion der Zähne, in Kombination Harris-Linien bei manchen und bei manchen nicht, läßt auch auf soziale Differenzierung schließen (manche konnten sich eine bessere Ernährung leisten?) aber sonst hängt die Frauenraubgeschichte ein wenig in der Luft...
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Beitragvon Nika E.S. » 03.06.2008 10:41

Fridolin - was ist an der Sr-Isotopenanalyse bedenklich ? Ich weiß, außer den Berichten, gar nix drüber.


Soweit ich weiß gibt es keinen absolut eindeutige Aussagemöglichkeit. In verschiedenen Gegenden lagert sich das Zeug gleichermassen ein...
Ich kann's jetzt grad nicht richtig erklären... :oops:
...Fridolin?
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Beitragvon Fridolin » 03.06.2008 11:15

Na ja, von der ursprünglich eindeutigen und klaren Aussage ?Migation aus bestimmten Gebieten? oder ?bodenständig?, die aus bestimmten Sr-Isotopenverhältnissen abgeleitet wurden, rudert man inzwischen etwas zurück. Denn die Ernährungsgewohnheiten bzw. der Ernährungszustand der Leute gehen ebenfalls in das Sr-Isotopenverhältnis ein, d.h. die Effekte überlagern sich.


Viele Grüße

Fridolin
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Beitragvon Fridolin » 03.06.2008 12:49

Die Interpretation, dass das Massaker begangen wurde, um die Damen des Dorfes zu rauben, geht von der Voraussetzung aus: ?ALLE Bewohner des Dorfes wurden getötet und kamen in dieselbe Grube?. War dies nicht der Fall, fällt die Argumentation wie ein Kartenhaus zusammen. Aber wer hat die 34 Toten verscharrt?

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Beitragvon Thomas Trauner » 03.06.2008 12:53

Ah - es geht offenbar wieder um das alte Problem Zusammenhang -Zusammentreffen.
Was mich auch ein wenig stört, ist das Bild der in der vorgeschichtlichen Zeit lebenden Menschen und der Einfluss auf etwaige Motive. Alles immer so archaisch, so alttestamentarisch.

Was mir gerade auch noch einfällt:
Interessanterweise wurde in der US-amerikanischen Rechtsphilosophie schon in den 1840er postuliert:
"Es ist nicht möglich, einer bestimmten Wirkung eine bestimmte Ursache mit Sicherheit zuzuordnen."
Stammt aus einem Rechtsfall, bei dem es eigentlich nur um die Frage ging, welcher von zwei Bäumen der ältere ist. (Was dann tatsächlich zur ersten Definition der Baumringdatierung führte, durch denselben, offenbar weit denkenden Richter... :!: )

Trotzdem - die Fakten sind interessant, die Interpretation nur eine von mehreren.

Thomas
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Beitragvon Thomas Trauner » 03.06.2008 13:04

Fridolin- wenn ich mich jetzt recht entsinne, wird im Ausstellungskatalog erwähnt, dass nur ein Teil der Siedlung betroffen war. (Der nördliche). Die, na ja, "Bestattung," geschah entweder durch die Restsiedlungsbewohner oder durch die Täter.
Was das gleiche sein kann. Die Idee, dass hier irgendein Nachbarschaftskonflikt erledigt wurde, gefällt mir deswegen, weil sie nicht ganz so Spektakulär ist, ganz gut.

Jetzt könnte mann noch postulieren, dass die sich nicht im Fundgut befindlichen Damen hierzu ein wenig durch allwohlfällige Kommunikation zwischen den DorfbewohnerInnen beitrugen. :sct:

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Beitragvon ulfr » 03.06.2008 16:28

Der große Graben ....? :twisted:
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Beitragvon Mark77 » 03.06.2008 18:06

Noch ein Online-Beitrag dazu! Man beachte den Titel dessen!!

http://www.derwesten.de/nachrichten/kul ... etail.html
Mark77
 

Beitragvon Wandalstouring » 01.11.2008 13:06

Da ist erstmal eine relativ ausgeglichene Population von Männern und Frauen nach der anthropologischen Geschlechtsbestimmung.
Jetzt kommt die Strontiumanalyse, die anzeigt welches Isotopenverhältnis in den Knochen und Zähnen eingelagert wurde. Damit kann man nach heutigem Stand Unterschiede zwischen den in der Kindheit abgeschlossenen Zähnen und dem lebenslang umgebauten Knochenskelett feststellen, sowie die Werte verschiedener Individuen vergleichen. Je länger ein Mensch in einer bestimmten Gegend lebt, desto stärker gleicht sich das Sr-Isotopenverhältnis den lokalen Gegebenheiten an.
Was sind die lokalen Gegebenheiten? Talheim bei Stuttgart liegt im Südwestdeutschen Schichtstufenland das geologisch sehr divers strukturiert ist und in Folge kleinräumig große Unterschiede im Verhältnis der Strontiumisotope aufweist(siehe geologische Karte und M. Schweissing, Strontium-Isotopenanalyse (87Sr/86Sr): eine archäometrische Applikation zur Klärung anthropologischer und archäologischer Fragestellungen in bezug auf Migration und Handel (München 2004)), je nach zugrunde liegendem Gestein.
Es ist davon auszugehen, dass die gebildeten Sr-Verhältnisgruppen andere Räume hatten von denen sie Nahrung und Wasser bezogen und dadurch anders geprägt waren. Wie weit weg das mindestens war kann eine großflächigere Untersuchung des Umlandes erbringen. Was auf jeden Fall nachgewiesen wurde, ist die Versammlung von Menschen die sich sonst nicht dort ernährten und eine Gruppe die sich möglicherweise von dort ernährte.
Natürlich ist auffallend, dass in einer Sr Verhältnisgruppe weiblich bestimmte Skelette fehlen und diese Gruppe gleichzeitig die lokale Ausprägung des Sr Verhältnisses hat. Wir haben also ein Versammlung von Gruppen aus Männern, Frauen und Kindern bei einer Gruppe nachgewiesen die sich als Männerhaufen mit oder ohne Kinder niederschlägt. Natürlich kann es sein, dass Frauen entfernt wurden, es macht aber erstaunlich wenig Sinn dass bei einem Massaker selektiv alle Frauen verschont werden die zu einer Gruppe gehören während ihre Geschlechtsgenossinnen von anderen Gruppen dran glauben müssen, wenn Ziel dieses Massakers der Erwerb von Frauen ist(vermutlich im gebärfähigen Alter oder an der Schwelle dazu).
Jetzt kommen wir auf die anthropologische Bestimmung zurück, dass das Geschlechtsverhältnis in der Gesamtpopulation recht ausgeglichen ist und nach Sr Analyse in einer Teilgruppe ein Mangel herrscht. Das heißt im Umkehrschluss, dass bei anderen Gruppen ein insgesamt ausgleichender Überschuss herrscht. Man könnte vermuten, dass Frauen aus den Überschussgruppen zumindest temporär Sex hatten oder solcher angebahnt wurde mit der Gruppe ohne Frauen. Das heißt jetzt nicht, dass ich eine Gruppe homosexueller Männer, die da glücklich leben, grundsätzlich ausschließe, aber Heterosexualität hat doch ein deutliches Übergewicht und ist deshalb wahrscheinlicher. Wie auch immer, es ist zu vermuten, dass für eine solche Dienstleistung ein angemessener Güteraustausch erfolgt. Was auch immer das war, kann durchaus im Interesse der Angreifer gelegen haben, die sich die Mühe machten das Dorf während einer Versammlung auszulöschen und nicht die attraktiven Frauen der Gesamtpopulation verschont haben.
Ja, eine neue These, aber die publizierte finde ich nicht haltbar.
Wandalstouring
 


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