Bogen bei den Germanen

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Bogen bei den Germanen

Beitragvon ulfr » 06.01.2010 17:10

Ich lese immer wieder, dass laut Tacitus die Germanen den Pfeilbogen als feige und knabenhaft erachtet haben.
Netzrecherche führt mich nicht weiter, hat jemand zufällig das Originalzitat von Tacitus greifbar oder zumindest die Textangabe?

Danke
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Beitragvon Nils B. » 06.01.2010 17:45

Ähm, ich meine, das stünde nicht bei Tacitus :oops:
Habe meine Ausgabe soeben nochmal überflogen und nichts gefunden. Klingt für mich eher nach ritterlichem Ehrenkodex des Hochmittelalters, wo dieser Grundsatz im Kampf mit den Mongolen ziemlich... kontraproduktiv war.
***
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Beitragvon ulfr » 06.01.2010 17:56

Ich hab die germania zur Hälfte durch und find es auch nicht. Vielleicht in den Annalen? Mustte erstmal den Bleistift schwingen :wink:
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Beitragvon jsachers » 06.01.2010 18:52

Menhir hat geschrieben:Wenn ich mir den dezenten Hinweis erlauben darf:

Tacitus beschreibt in der Germania, dass die Germanen die Benutzung des Bogens als Kriegswaffe als unehrenhaft und knabenhaft empfinden.


mfg, Menhir


Das stammt aus diesem Thread. Ich habe die Stelle allerdings bis heute auch noch nicht gefunden … Vielleicht kann uns Menhir weiterhelfen?
jsachers
 

Beitragvon ulfr » 06.01.2010 19:24

Ich hab die germania jetzt ganz durch und kanns nicht finden.
Du warst meine Hoffnung, Jan. *schluchz*
Gibt es irgendwo ein vergleichbares Zitat?
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Beitragvon Patrick M. » 06.01.2010 19:30

Ich kann leider nur einen keltischen Beleg bieten. Vielleicht aber hilfreich oder weiterführend. Wenn ich mich nicht irre schreibt Cäsar im Bellum Civile über den Volksstamm der Retuler. Diese seien bekannt für ihre Bogenschützen. Im kelt. Kontext ist dies schon sehr ungewöhnlich. Ist Spätlatene.

Für die Bewaffnung der Germanen sicher hilfreich:

Adler, Wolfgang : Studien zur germanischen Bewaffnung : Waffenmitgabe und Kampfesweise im Niederelbegebiet und im übrigen Freien Germanien um Christi Geburt. Bonn : Habelt , 1993. (Saarbrücker Beiträge zur Altertumskunde 58)
Patrick M.
 

Beitragvon jsachers » 06.01.2010 20:23

Es scheint so zu sein: Delbrück schreibt, Tacitus schriebe … und sein Beleg ist dann Jähn, und wo der es her hat, weiß ich nicht.
Alle späteren Autoren zitieren dann entweder nach Delbrück oder nach Jähn, oder geben gleich gar keine Quellenangabe.

Im Grunde ist das ein Topos, der immer wieder mal auftaucht, angefangen bei griech. Quellen bis zu den Franzosen im 100jährigen Krieg. Ich werde mal schauen, ob ich was verwertbares finden kann …
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Beitragvon ulfr » 07.01.2010 17:35

Thomas Marcotty (Pfeil und Bogen, 1958) schreibt:

Die übrigen Germanenvölker blieben jedoch dem Bogen abhold, schon weil ihre Anschauung von Kampfmoral und Ethos die Weite eines Bogenschusses nicht umgreifen konnte. Die blauäugigen Krieger wollten das Weiße im Auge des Gegners sehen und Brust an Brust mit ihren Widersachern ringen, denn erst die rauhe Kraftfülle des Nahkampfes verhieß den Kämpen Ruhm, Bestätigung und Lob der Ehefrauen. Die ihnen angemessene Waffe war der eschene Stoßspeer. Für den Bogen, der seine Beute lautlos über lange Strecken tötet, fehlte den blonden Riesen das Verständnis. Der Pfeil schien ihnen tückisch und unwürdig eines wackeren Kriegers.
Am Beispiel Griechenlands kann man beobachten, wie ein Volk langsam zu einem neuen Waffenethos übergeht und in die Dimensionen des Bogens hineinwächst. Den Griechen der Frühzeit galt der Bogen ebenfalls nicht viel. Wie die Germanen strebten sie zum Nahkampf, zum Duell und waren in der Kunst des Schießens kaum bewandert. Die griechischen Bogenschützen waren damals "in ihrem Handwerk so unfähig", erzählt Prokop, "daß sie nur nach der Brust die Sehne spannten und kraftlose Pfeile schossen, wert, von denen selbst, welche sie trafen, verspottet und verlacht zu werden."


Hat die Begeisterung für die edlen Griechen, die sich hier in Deutschland Ende des 19. Jhd. breit gemacht hat, evtl. auf die Germanenrezeption dieser Zeit durchgefärbt? Die dann 1958 immer noch präsent war, wie man lesen kann?

Marcotty bringt jedenfalls keinen Nachweis für diese Behauptungen. Und auch sonst finde ich nichts .... *seufz*
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Beitragvon Fredewulf » 07.01.2010 19:45

Tatsächlich hat ulfr bei Tacitus rein gar nichts übersehen. :wink:
Entscheidend ist an der Stelle, nicht was Tacitus schreibt, sondern, was er nicht schreibt.
Er schreibt rein gar nichts von germanischen Bogenschützen. Auch andere Autoren schweigen über Bogenschützen, noch tauchen sie auf Siegessäulen und anderen bildlichen Darstellungen auf. (So erklärt zumindest das Germanen-Handbuch aus der DDR das Entstehen der Idee, dass Germanen Pfeil und Bogen nicht im Krieg eingesetzt haben.)

Richtig scheint der Schluß schon, dass die Germanen in der Kaiserzeit Pfeil und Bogen im Kriege nicht oder nur selten einsetzten, aber der germanische Ehrenkodex, der Pfeil und Bogen verboten haben soll, ist nichts mehr als Konstruktion einer germanophilen Forschung. Sicher eine mögliche Erklärung für das Fehlen der Bogenschützen, mehr aber auch nicht. Das sie Bogenschützen für feige und knabenhaft hielten, ist ein germanophiles Märchen ohne jeden Quellen-Beleg.
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Beitragvon Dago » 07.01.2010 22:38

Allerdings haben wir in der Merowingerzeit reichlich Belege für Bogenschützen. Da ist die Frage ob die Theorie richtig ist.
Grüsse
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Beitragvon jsachers » 07.01.2010 23:26

Ja, den Marcotty hatte ich gestern auch ind er Hand. Außerdem habe ich alles von H. Riesch durchgesehen, aber nichts derartiges gefunden. Auch bei einigen anderen Autoren nicht mehr als vielleicht den vagen Hinweis, die Germanen hätten den Bogen im Krieg nicht benutzt. Auch nichts verwertbares in den einschlägigen Lexika (RGA, LexMA, RE).
Allerdings scheint es tatsächlich so zu sein, dass aus dem Zeitraum zwischen ca. 300 v. und 300 n. Chr. im germanischen Raum praktisch keine Zeugnisse für die Verwendung der Bogenwaffe gefunden wurden. Ich habe da nicht gerade die allerneuste Literatur, aber ich bezweifle, dass sich in den letzten Jahren so viel getan hat, was mir entgangen wäre.
Aus römischen Forts gibt es aus der fraglichen Zeit dagegen so einiges …

"Sehr bezeichnend ist auch die Tatsache, daß der Bogen zur Zeit der Kriege der Römer mit den Kelten und Germanen seinen Wert bei letzteren verloren hatte; die Ursache hiervon ist wohl darin zu erblicken, daß den Kern des römischen Heeres die bepanzerten Legionen bildeten, welchen die Pfeile nicht viel schaden konnten. Wir wollen aber damit nicht sagen, daß er gänzlich verschwunden war; Tacitus in der "Germania" erwähnt zwar nichts von seiner Anwendung, aber das schließt doch die Möglichkeit des Gebrauches nicht aus, und wir besitzen sichere Belege, daß sich die nahe verwandten Völker Galliens zu derselben Zeit des Bogens bedienten."
E. Bulanda, Bogen und Pfeil bei den Völkern des Altertums, Wien und Leipzig 1913, S. 131.
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Beitragvon jsachers » 07.01.2010 23:35

Ulfr und Fredewulf – das gleiche trifft im Fall der Griechen zu: auch da war es vornehmlich die romantische Verklärung der "edlen und guten Griechen", die zu der Behauptung führte, die Griechen hätten den Bogen verachtet.
Tatsächlich ist für EINE Schlacht ein Abkommen überliefert, auf Bögen, Schleudern und alle Arten von Plänklern zu verzichten – daraus wurde dann ein allgemeines "Verbot" von Fernwaffen in gr. Heeren abgeleitet.
Die meisten anderen entsprechenden Textstellen stammen aus Komödien oder philosophischen Schriften. Dabei rühmten sich sogar Herakles und Odysseus des Bogens! Und archäologische Belege, künstlerische Darstellungen etc. gibt es reichlich.
DIe Behauptung "Bogenschützen sind feige" (so ähnlich tatsächlich in der Ilias) diente wohl nicht zuletzt dazu, die Feinde der Griechen, die den Bogen als Hauptwaffe führten, herabzusetzen: Skythen, Perser etc. Ähnliches dann vielleicht auch für die Feinde der (späteren) Germanen: Hunnen, Mongolen, Awaren – alles "Barbarenvölker", die den mutigen, aufrechten, freien Germanen nicht das Wasser reichen konnten?
jsachers
 


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