Pfeilgifte bei Kelten und Germanen?

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Pfeilgifte bei Kelten und Germanen?

Beitragvon ulfr » 16.10.2007 10:10

Moin ihr lieben Artgenossen,

ich bin kürzlich gefragt worden, ob Kelten und Germanen Pfeilgifte verwendet haben und wenn ja, welche. Da ich mich zeitlich meistens in länger zurückliegenden Epochen bewege und überfragt bin (auch ein oberflächlicher scheuer Blick in die Bücher brachte mich nicht weiter), gebe ich die Frage an Euch Spezialisten weiter. Wer kann mir weiterhelfen?

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LG

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Beitragvon Nils B. » 16.10.2007 10:22

Geht es Dir um Jagd oder Krieg?
Habe mal gehört (war eine Fernsehdoku, aber ich weiß nicht mehr welche), daß es in der Antike vorkam, daß man seine Pfeile vor Gebrauch in einen Tierkadaver steckte, um beim Gegner gezielt Wundbrand zu erzeugen. Raue Sitten...
Kann für den Wahrheitsgehalt allerdings nicht garantieren.
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Beitragvon Hans T. » 16.10.2007 10:24

Nein. Keine Pfeilgifte. Nicht der geringste Hinweis vorhanden. Gegenfrage: Welche denn? Sind unsere Wälder voll von für Pfeilgift geeignete Pflanzen und Frösche? Die Debatte wird schon ewig geführt, aber es ist noch nicht gelungen, ein hiesiges plausibles Pfeilgift zu benennen.

H

Edit: Bathanos, dass ist ein nicht auszurottender Mythos. Leichen sind nicht giftig. Es gibt kein Leichengift. Und Wundbrand lässt sich dadurch auch nicht gezielt auslösen. Was ginge, wären ordentlich hundsgemeine Infektionen. Aber dazu fiele mir was anderes ein, was jeder fast immer bei sich hat...denn eine verwesende Leiche ist selten bei der Hand, wenn man sie grad mal braucht.
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Beitragvon menhir » 16.10.2007 10:31

Wie wärs mit Arconitum?
Letale Dosis liegt bei 3-6 mg, und wucher bei uns wie Unkraut :idea:
Und selbst wenn unter dieser Dosis: Lähmung und Taubheit der getroffenen Körperstelle sind doch ein schönes Zusatzplus im Kampf :wink:
Zuletzt geändert von menhir am 16.10.2007 10:41, insgesamt 2-mal geändert.
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Beitragvon Chris » 16.10.2007 10:32

die Frage ist bloß, ob der Zusammenhang zwischen Krankheit und der Quelle der Erreger so klar war - wenn man mal die nahe Vergesellschaftung von Brunnen und Aborten im Mittelalter ansieht - ööööööö...... :oops:
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Beitragvon Nils B. » 16.10.2007 10:32

Besten Dank, Hans. Wieder was gelernt - was ich nie anwenden werde :D
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Beitragvon Hans T. » 16.10.2007 10:41

Menhir, wie haben die denn das gezielt aus dem Eisenhut extrahiert? Und wie ist gesichert, dass es sauber in die Blutbahn gelangt. Bei einem Viech in der Grösse des üblichen Jagdwildes liegt die Dosis bei ca 10 - 15 gr. Wurzeln (!). Bei einem Menschen dann mehr. Orale Aufnahme. Wie geht das mit Pfeilen?

H
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Beitragvon ulfr » 16.10.2007 10:41

@ Bathanatos: in erster Linie ging es um die Jagd.
@ Hans: Danke, mir war nämlich auch so, dass es zwar Spekulationen ohne Ende gibt, der Nachweis aber noch aussteht. Zudem fehlt es, wie Du richtig schreibst, an entsprechenden Pflanzen bzw. Tieren. Eibe, Aconitum, Germer etc. kämen zwar infrage, sind wohl aber zu schwach bzw. die Gifte zu instabil, um in lethaler Konzentration auf einen Pfeil aufgebracht zu werden.
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Beitragvon menhir » 16.10.2007 10:51

Also, erstmal zu Hans' Edit, den ich leider erst zu spät gesehn habe:
*meine alten Bio-Mitschriften rauskram* Durch die Eiweißfäulnis im Körper entstehen uA. Cadaverin und Putrescin, zwei gifitige Substanzen. Zugegeben, es gibt keinen fest definierten Stoff namens "Leichengift", aber jede Leiche die verwest erzeugt giftige Substanzen. Zum Beispiel Botulinustoxin gilt als hochgiftig. Ein Pfeil der in einer älteren Leiche steckt is also durchaus als giftig anzusehen.

Zu Aconitum:
In unkonzentrierter Form reichen 2-4 Gramm für einen Erwachsenen vollkommen aus. Bei oraler Einnahme braucht man möglicherweise mehr, da der Magen ja auch in einem gewissen Maße Gifte abwehren kann. Aber man würde ja nicht die Knolle als Feststoff einsetzen, sondern eher die Flüssigkeit, das ist dann schon eine Art Konzentrat.
Und selbst wenn man es nicht schafft, die letale Dosis zu verabreichen... eine Aconitum Vergiftung wird einen Oponenten auf jeden Fall Kampfunfähig machen. Wenn der Pfeil nicht in den Oberkörper trifft, wo er vermutlich so oder so tödlich ist und eben nur ein Bein oder einen Arm trifft, wird er das betroffene Gliedmaß auf jeden Fall komplett lähmen. Mit einem Bein in den Kampf humpeln, oder Schild/Waffe nicht verwenden zu können ist vollkommen ausreichend um wehrlos zu sein.
Eventuell kommt dann noch Atemnot und Kreislaufbeschwerden dazu. Bei widrigen Umweltbedingungen wie Kälte, Nässe oder Hitze wird das auch zum Tod führen. Vor allem in Verbindung mit stressbedingtem Adrenalinausstoß. (Ein Krieger der vor dem Kampf einen Pfeil in den Oberschenkel kriegt, den dann kaum noch bewegen kann und auf sein Schicksal warten muss, könnte durchaus ein wenig gestresst sein)


Noch ein Edit:
Hab ich gerade in Wikipedia gefunden:
Laut Jean Marie Pelt: "Die Geheimnisse der Heilpflanzen", wurde Aconitum napellus (also der normale Blaue Eisenhut) bis ins 16. Jahrhundert hinein von den Mauren als Pfeilgift verwendet. Ab wann steht nicht beschrieben. Aber wenn es die Mauren konnten, hätten es die Europäer doch auch gekommt...


Noch ein Edit:
Ich möchte hier allgemein über die Möglichkeit der Verwendung von Pfeilgiften sprechen. Prinzipiell halte ich die Verwendung von Pfeilgiften für Europäer für unnötig. Im Zusammenhang mit Jagd werden -soweit ich weiss- egtl nur Narkotika verwendet. Hätte ja keinen Sinn sein Mittagessen zu vergiften!
Prinzipiell sind die Bögen der Völker, die Pfeilgifte verwenden eher schwach (die afrikanischen Bögen sind zB sehr kurz und grade mal 15 Pfund stark), es geht dort nicht um die Durchschlagskraft der Pfeile, sondern nur um die Injektion des Giftes. Die Bögen die ich so aus Europa kenne sind ja nicht wirklich vergleichbar.
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Beitragvon Hans T. » 16.10.2007 11:50

*Meine alten Erinnerungen im Umgang mit Leichen rauskram* :wink:
Menhir, meines Wissens nach sind beide Stoffe nicht toxisch, sondern nur extrem ekelig. Das man gleichwohl beim Umgang damit auf Kontakte verzichtet, hat eher mit einer Infektionsgefahr zu tun. Eher einer allgemeinen erhöhten Infektionsgefahr. Aber das ist alles nicht toxisch im hier diskutierten Sinne. Was will ich mit einem infizierten Hirsch? Der läuft noch Tage lange vor mir weg. Und um den bösen Feind zu infizieren gibts schnelleres und besser verfügbares.

Zu den Mauren: Kann doch sein. Denen sagt man ja alles mögliche nach. Im 16.Jhd gabs auch schon Feuerwaffen. Das ist alles kein Beleg dafür, das die Germanen Eisenhut extrahieren konnten..oder wollten.

Ich frag mich immer, was solche Diskussionen über 'allgemein die Möglichkeit' sollen. Da können wir auch über hölzerne Fahrräder diskutieren. Die Möglichkeit hätte auch allgemein bestanden.

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Beitragvon menhir » 16.10.2007 12:09

Cadaverin und Putrescin sind tatsächlich nicht toxisch, aber sehr gut geeignet um Wundbrand herbeizurufen (wie von Bathanatos gesagt). Und Botulinustoxin ist sehr wohl sehr toxisch :wink:
Es geht mir hier auch nicht um den Aspekt Jagd, sondern um Kriegsführung.

Augrund mangelnder Belege bin ich ebenfalls davon überzeugt, dass Pfeilgift nicht verwendet wurde, oder wenn, dann nur sehr lokal eingeschränkt und zeitlich begrenzt.

Allerdings wurde hier als Beweis angeführt "es gibt keine brauchbaren Gifte" und das halte ich für nicht ganz richtig.

Mein persönliches Fazit:
Für die Jagd garantiert ausgeschlossen (wer will schon vergiftetes Fleisch). Für Krieg: technisch nicht unmöglich und daher nicht vollkommen auszuschließen, aber eben in keinster Weise belegbar.
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Beitragvon Hans T. » 16.10.2007 12:51

Wundbrand wird primär durch eine Nicht- oder Unterversorgung ausgelöst, nicht durch eine Infektion. Die kommt später. Wenn ich mich recht entsinne, ist leider 'ne Zeit her. Und Botox kann, aber muss keinesfalls bei 'schlecht knservierten' Leichen auftreten. Die muss man erst mal als solche erkennen. Es wird von einem ganz bestimmten Bakterium verursacht, dass es aber keinesfalls flächendeckend gibt.

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Beitragvon Thomas Trauner » 16.10.2007 12:56

Allerdings geistern diese "Pfeilgifttheorien" allenthalben auch im Fach herum.
Es gibt ja Pfeilfunde mit aufgebundenen Dornen (BZ C/D).
Und es gibt welche, die scheinbar an der Tülle Aussparungen für eine etwaige Giftaufnahme haben. (BZC/D und HaA/B).
Im ersten Fall handelt es sich um sehr einfach konstruierte Pfeilspitzen (ausgeschnittenes Blech o.ä.), bei denen es nicht verwundert, wenn die Widerhaken ebenso einfach konstruiert sind.
Im anderen Fall entstanden die Aussparungen in den Tüllen dadurch, dass der Kegel, der zum Guß im Inneren der Tülle angebracht wird, sich beim Guß verschob und dadurch ein Loch in der Tülle hinterließ. Beim Schäften macht das aber keinen großen Unterschied, letztlich ist ein Pfeil doch ein Verbrauchsartikel....

Was die Gifte angeht...nun ja, sofort wirkt offenbar kein Europäisches, das gibt also bei der Jagd keinen rechten Sinn.
Im Krieg...zuviel der "Ehre" denke ich. Die Chance, sich nach einem Pfeilschuß, egal wohin im Körper, zu infizieren, war eh automatisch fast zu 100% der Fall. Ebenso war die Extraktion eines Pfeiles sehr, sehr infektiös und problematisch. Es wäre gar nicht nötig, dies irgendwie zu "fördern"...

Ausserdem befürchte ich, dass wir das wirkliche damalige Wissen darüber ein wenig überschätzen. Natürlich waren bestimmte Heilpflanzen etc. bekannt, die einer Wundversorgung förderlich waren, aber was genau die Infektion auslöst (und wie man sie "fördert" :shock: ) wohl eher nicht.

Wie schon mal andernthreats geschrieben:
Bis Ende des 19.Jh. wuschen sich die Chirurgen nicht mal die Hände....

Und halt dann noch das alte Problem der "Barbaren"-Rezeption. Jetzt ist die Pfeilschießerei ja schon nicht heldenhaft, geschweige denn wenn man auch noch Gift nimmt...tz, tz, tz,,, :shock: :shock:

Ich denke, die Infektionsrate der von "Mauren"-Pfeile getroffenen entstand wohl eher durch die barbarischen Metzgermethoden der "christlichen" Ärzte. Hätten sie mal einen Mauren fragen sollen. Komischerweise waren die christlichen Pfeile wohl nie vergiftet.... :|

Just my two arrows...

Thomas
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Beitragvon Steve Lenz » 16.10.2007 14:59

Die einzige Erwähnung vergifteter Pfeile findet man in den Berichten Herodots über Reiternomaden. Er nennt es "Skythikon". :twisted: Wir haben ein Buch mit dem Rezept hier, ziehe es aber vor, dies nicht im Web zu verbreiten. Aber soviel sei gesagt:

Das will ich definitiv nicht ins Gewebe kriegen!

Herodot beschreibt auch die bevorzugte Wundbehandlung in einem solchen Falle, denn die Stelle sei großräumig (!) auszuschneiden!

Aber im keltischen Kontext ist mir nichts bekannt.
Aus den Augen - aus dem Sinn.
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Beitragvon Bridget » 16.10.2007 15:55

Hmm,

Kenne nur jetzt die mittelalterlichen Bogenschützen.
Da war es üblich, in der Schützenreihe seine Pfeile vor sich in den Boden zu stecken um sie schneller greifen zu können.

Wenn ich mir so den Erdboden ansehe...

Den dreckverschmierten Pfeil, will ich nicht abkriegen!

Genaue Quelle kann ich jetzt leider nicht angeben, habs mal so am Rande gelesen.
Der Kriegsbereich ist jetzt nicht so meine Baustelle...

LG
Bridget
 

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