Pferdehaltung im Magdalenien?

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Pferdehaltung im Magdalenien?

Beitragvon Steve Lenz » 30.06.2006 16:50

Ich bin bei meiner Recherche zu Lochstäben (habe einen rekonstruiert) über die Höhlen bei St. Michel d'Arudy gestoßen, in welchen etliche Funde aus dem Magdalenien (ca. 22000 bis 12700 v.u.Z.) festgestellt wurden - u.a. auch Schnitzereien aus Mammutelfenbein, Geweih und Knochen.

Hier fielen mir insbesondere die Abbildungen diverser Pferdeköpfe auf:

Bild
Bild

(Quelle: http://donsmaps.com)

Es war im Magdalenien üblich, jagdliches (?) Wild so realitätsnah wie möglich darzustellen. Künstlerische Freiheit - gerade bei Detaildarstellung - wurde vermieden.

Was bedeuten dann die Linien und Punkte auf den Pferdeköpfen? Sie scheinen m.E. Strukturen darzustellen. Halfter? Zaumzeuge?

Ich weiß von Pferdezähnen - auf 20000 v.u.Z. datiert - mit Hinweis auf "Krippenbiss": Eine besondere Form der Zahnabarbeitung, die nur bei Pferden auftritt, welche eingepfercht werden.

Könnte es sein, dass das Pferd schon sehr viel früher vom Menschen domestiziert wurde als bislang angenommen?

Oder zumindest - zwecks Frischfleischversorgung - in Lebendhaltung festgesetzt wurde?

Aber dazu bräuchte es keine Halfter oder Zaumzeuge - erstere sind zum Führen (Frachttransport?), letztere zum Reiten (!) gedacht!

Übrigens:

Lochstäbe haben keinen Bezug zu Pferden - aber man kann fix und prima lange Stäbe damit richten! :idea: (Und gebündelte Speere bequem daran festmachen und über der Schulter transportieren.)
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Re: Pferdehaltung im Magdalenien?

Beitragvon Chris » 30.06.2006 18:56

Steve hat geschrieben:Ich weiß von Pferdezähnen - auf 20000 v.u.Z. datiert - mit Hinweis auf "Krippenbiss": Eine besondere Form der Zahnabarbeitung, die nur bei Pferden auftritt, welche eingepfercht werden.


Hi,
mich würde interessieren, wo Du das gelesen hast....

Sämtliche Haltungsneurosen wie Koppen u.ä. hatte ich eigentlich eher für "Zivilisationskrankheiten" des Pferdes gehalten, also nix, was gleich am Beginn der Domestizierung auftritt.

Spannende Sache!
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Beitragvon Steve Lenz » 30.06.2006 23:18

Es war ein Text aus irgendeinem Buch, zitiert im Internet. Ich such?selber schon die ganze Zeit, find?aber die URL nimmer! :oops:

Ich war damals auch ziemlich überrascht, aber diese Magdalenien-Darstellungen machen mich baff!

Wo ist eigentlich Thomas T., wenn man ihn braucht???
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Pferdehaltung im Magdalenien

Beitragvon melli » 01.07.2006 10:02

Ich habe in einem meiner Bücher einen Textabschnitt gefunden, in dem der Pferdekopf von st. Michel d`Aruby abgebildet ist und auch die Theorie mit dem Krippensetzen besprochen wird:

Göran Burenhult (Hrsg.): Menschen der Urzeit. Die Frühgeschichte der Menschheit von den Anfängen bis zur Bronzezeit; Köln 2004; S. 91-93.

Der geschnitzte Pferdekopf und andere ähnliche Funde von Pferdedarstellungen mit Halfter deuten auf eine Zähmung von Pferden (und auch von Rentieren, Rentierkopf mit Geschirr, Abri von Laugerie-Basse) und deren Nutzung als Last- oder sogar Reittiere hin, eventuell zur Treibjagd.
Allerdings bin ich der Meinung, dass das Krippensetzen zu dieser Zeit nicht vorgekommen ist, da ein Pferd solche "Unarten" bei langem Stehen in der Box und bei Langeweile entwickelt, und eine Haltung in Ställen, geschweigedenn Boxen finde ich dann doch sehr unwahrscheinlich.
Man geht davon aus, dass die Tierhaltung ähnlich wie bei sibirischen Rentierjägern aussah. Ich denke da auch eher an eine Herdenhaltung ohne Umzäunung, wobei die Tiere bei Bedarf eingefangen wurden.
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Beitragvon Hans T. » 01.07.2006 13:32

Dito, Melli. Sehr überrascht wäre ich nicht wg. der Pferdehaltung. Die bisherige Nachweisgrenze orientiert sich ja hauptsächlich an metallenen Schirrungsteilen.

Zudem hatte ich spontan die Assoziation mit (lappländischen) Renzüchtern, die auch aus halbwilden Herden Einzeltiere herausziehen und zum Lastenziehen, sogar zum Reiten verwenden, mit Zaumzeug aus organischen Materialien ( Schöne Fotos in der völkerkundlichen Abteilung in Schloss Gottdorf).

Zu diesen Langeweile-Neurosen: Kurzes Anpflocken ist auch nicht besser als Boxenhaltung, vermute ich mal als grösstes Pferdeexperte der nördlichen Halbkugel ( ich glaub,näher als 10m war ich nie dran an so einem Viech).

H.
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Beitragvon Chris » 04.07.2006 17:50

Also, erste Voraussetzung zum Krippensetzen bzw. Koppen: Umzäunung oder Stallwand aus Holz, auf der das Pferd die Zähne aufsetzt...
Ich kann mir (beim besten Willen) nicht vorstellen, das zu Anfang der Domestizierung die Leute sofort Zäune oder Ställe gebaut haben :roll: Zumal ein ausbruchssicherer Zaun vor Erfindung des E-Zaunes eine Menge Holz brauchte...
Heute noch werden in Spanien, Lettland und wer weiß wo noch die Pferde zum Weidegang einfach an einen Pflock mit einem langen Seil angebunden und fressen dann ein kreisförmiges Stück Wiese ab. Und dann das nächste usw.

Bei so einer Haltung kann das Pferd nicht weglaufen, hat Beschäftigung (Pferdelieblingszeitvertreib: Fressen!!!) und ist nicht in der Lage, seine Zähne beim Neurosen-Ausleben zu ruinieren.

So ähnlich wurden bei den Prairie-Indianern Pferde gehalten, die zu wertvoll waren (Kriegsponys), um einfach in einer freilaufenden Gruppe rumzustreifen.
Und die von Hans zitierte Rentierhaltung läuft für Renn-Rentiere wohl auch ähnlich ab.


:idea: Vielleicht haben die Abnutzungsspuren an den Zähnen ja einen ganz anderen Grund, z.B. Scheuerstellen durch das Zaumzeug????
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Beitragvon Steve Lenz » 04.07.2006 18:00

Vielleicht haben die Abnutzungsspuren an den Zähnen ja einen ganz anderen Grund, z.B. Scheuerstellen durch das Zaumzeug????


Kann natürlich auch eine Fehlinterpretation gewesen sein! Ich hab?s halt nur gelesen und die Zähne waren nicht abgebildet.

So oder so:

Die Zeichen stehen alle auf "Pferdehaltung bereits im Jungpaläolithikum". :idea:
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Pferde

Beitragvon jenna » 21.04.2010 15:08

Also wenn ein Pferd genutzt wurde, gibt es dafür sicher zwei markante Stellen die das belegen würden, nämlich einen Steifen mitten über die glatte Fläche der Wangen und einen Streifen über die Nase.
Diese Zäumung braucht man als Minium.

Der über die Nase könnte als Mehlmaul-Darstellung interpretiert werden. Ähnlich ist es mit anderen Linien, die sich allesamt an der Kopfform anlehnen.
Einzig der über die Wangen wäre absolut unnatürlich.

Desweiteren sei erwähnt, das man Pferde auch in natürlichen Talsenken oder Canyons relativ leicht einsperren könnte und diese schnell mit einigen Beerensträuchern oder auch Tüchern leicht verschlossen werden könnte. Pferde gehen eher den Weg des geringsten Widerstandes.

Es wäre allerdings notwendig, das ein Bach da durch fliessen würde.
Eine Pfütze oder ein kleiner Teich würde nicht funktionieren. Pferde trinken kein stehendes Wasser und sie brauchen es täglich.

In jeder Umgebung gibt es Pferde die gern an etwas herum knabbern, natürlich sollte dann auch etwas da sein, das sie mögen und Nadelbäume stehen nicht hoch im Kurs. Möglich wären z.b. neben Bäumen auch natürliche Salzablagerungen die zu solchen Zahnabschleifungen führen könnten.

Neben dem Dartmoorpony wäre auch das Kaspian Pony ein interessantes Studienobjekt zur Domestikation. Leider stirbt das Kaspian Pony gerade aus.
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Beitragvon Mela » 21.04.2010 20:00

Die Quellen habe ich gerade nicht im Kopf, entschuldigt also bitte die etwas schwammigen Hinweise.

Ich meine mich erinnern zu können, das es unterdessen genetische Untersuchungen zur Pferdedomestikation gibt, die interessanterweise die alten Vermutungen decken: südlicher Ural, rund 6000 BP.

Domestikation und "Haltung" sind zwei völlig unterschiedliche Paar Schuhe - und sie hinterlassen komplett unterschiedliche Spuren im Fundgut.
Werden Wildpferde gefangen genommen und fixiert, zum Beispiel mit einer Art Halfter, dann hinterlässt das kaum Spuren im Knochenmaterial, weil ja immer neue wilde Pferde gefangen werden und sich die nicht verändern...
Das könnte ich mir - ähnlich wie bei den Rentieren - sehr gut vorstellen.

Der Krippenbiss könnte meines Wissens auch durch eine klimatisch ungünstige Periode bedingt sein, wenn die Tiere gezwungen sind, an Bäumen zu "knabbern".

Liebe Grüsse

Mela
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Beitragvon Chris » 22.04.2010 08:19

Inzwischen gibt es in der Tiermedizin einen Interessanten Ansatz zur Ursache des Koppens:

http://www.huebeli-stud.com/ueberschues ... koppen.php

Überschüssige Magensäure durch Magengeschwüre, verursacht durch Kraftfutter, scheint die Ursache zu sein. Bei koppenden Pferden helfen Kalzium- und Magnesiumcarbonat-Präparate hervorragend (eigene Anschauung bei einer seit 20 Jahren koppenden Stute - seit sie das bekommt, ist das Koppen komplett verschwunden ohne Änderung der Haltungsbedingungen... darufhin wurde sie auf absolute Kein-Kraftfutter-Diät gesetzt und braucht nun nichtmal mehr Magentabletten)


Wenn aber Kraftfutter die Ursache ist, gab es in der Steinzeit wohl keine Kopper :D


Also wenn ein Pferd genutzt wurde, gibt es dafür sicher zwei markante Stellen die das belegen würden, nämlich einen Steifen mitten über die glatte Fläche der Wangen und einen Streifen über die Nase.
Diese Zäumung braucht man als Minium.

Zwischen dem, was wir heute benutzen und dem, was tatsächlich historisch genutzt wurde, ist oft ein weites Feld... Sibirische Rentier-Reiter und Native Americans nutzten z.B. oft nur eine Schnur um den Unterkiefer als Zäumung, völlig ohne weitere Riemen am Kopf. Wenn das Pferd darauf ausgebildet ist, reicht das völlig.
Oder möglich wäre auch ein Pflock in der Nase wie bei Kamelen durchaus üblich ( http://www.leclub.de/tuareg/bilderT/tuaregKamel.jpg )...

Spannendes Thema :-)
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Beitragvon ulfr » 22.04.2010 09:40

1998 hat sich ein M. Rappenglück (sic! :) ) mit dem Thema Zaumzeuge der Eiszeit beschäftigt:

http://www.infis.org/downloads/mr1998bgerpdf.pdf

Was ich davon halten soll, weiß ich nicht, denn Hottes sind zum Essen da, nich zu Draufsitzen :D

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Beitragvon Turms Kreutzfeldt » 22.04.2010 11:21

Was ich davon halten soll, weiß ich nicht, denn Hottes sind zum Essen da, nich zu Draufsitzen


jau ! Obwohl, wie verträgt es sich mit dem "Pferdeheiligtum" der Basken. Obwohl den Basken das Essen auch heilig ist, wie man weiß.

agur ! Don Turms
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Beitragvon ulfr » 22.04.2010 14:38

Wir Eiszeitjäger lieben eben Pferde ...
Pferdeheiligtümer gibts später jede Menge, Arkona z.B.
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Beitragvon Turms Kreutzfeldt » 22.04.2010 14:42

Meinte ich doch, det hier:
http://www.ekainberri.com/index.htm

agur !
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Beitragvon jenna » 22.04.2010 15:16

Alle diese Aufzäumungen von Pferden beruhen auf eine gewisse Hebelwirkung am Maul und dazu brauchen sie mind. 2 Riemen um den Hebel zu fixieren. Es wird wohl Gründe haben warum man nirgendwo Pferde mit einen Pflock durch die Nase findet.
Magensäureprobleme treten auch bei bestimmten energiereichen jungen oder energielosen alten Gräsern auf. Um derartige Futterschwankungen zu kompensieren fressen wild gehaltene Pferde auch an unterschiedliche Nahrungsquellen, die in der heutigen Stallhaltung einfach nicht üblich sind.

Ich glaube mal gelesen zu haben das sie am schwarzen Meer domestiziert wurden.

Hier ein Zitat:
Rätsel um die Domestikation des Pferdes ist gelöst – Ort und Zeit jetzt bekannt, so lautet der Titel einer Pressemitteilung des Forschungsverbundes Berlin e.V.. Tatsächlich war bislang offen, wo und wann genau die Domestizierung des Pferdes stattgefunden hatte. Mit Hilfe der Analyse von Farbgenen sehr alter DNA- Proben, ist es einem internationalen Wissenschaftlerteam nun gelungen, den Übergang des Pferdes vom Wild- zum Haustier auf das 3. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung zu datieren und als Region dieses in seinen kulturgeschichtlichen Auswirkungen geradezu revolutionären Ereignisses, die Ponto- Kaspische- Steppe (heutiges Russland, Kasachstan, Ukraine, Rumänien) fest zu machen.
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