Levallois-Kern

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Levallois-Kern

Beitragvon ulfr » 29.10.2012 23:55

Ich hab mich mal an einem Levallois-Kern und Zielabschlag versucht.
Format Schildkröte mit "chapeau de gendarme", d.h. der Kern bekommt kurz gesagt oben - Frontalansicht - die Form eines "Hutes"
Preparation nach hinten und vorn mit Quarzitschlagstein, Zielabschlag (Hosen voll ...) mit großem Geweihhammer, 14 cm lang. Mit einem großen weichen Schlagstein hätte ich wohl ein ähnliches Ergebnis erreicht, vielleicht wäre der Abschlag breiter und der bulbus dicker geworden.
Ich bleib dran ...

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Re: Levallois-Kern

Beitragvon Blattspitze » 30.10.2012 08:38

Klasse Ulfr.
Wobei, ... wenn gleichzeitig die Hosen voll werden, ist`s ja doch irgendwie "indirekte" Technik?
:idea:
Beim nächsten Abschlag unbedingt mit einem Schlagstein versuchen.
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Re: Levallois-Kern

Beitragvon TZH » 30.10.2012 21:37

Sehr gut gemacht, Ulfr! Respekt!
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Re: Levallois-Kern

Beitragvon FlintMetz » 30.10.2012 22:26

Sehr schön geworden, Ulfr - fast schon ein kleiner "livre de beurre", wo es ja im Prinzip sehr ähnlich abläuft.

Ich hab vor kurzem für LS auch sowas gebastelt, nur leider nicht fotografiert. Vielleicht macht er ja noch ein Foto davon und stellt es hier ein. Wäre super - schon jetzt Danke!!!
Meiner wurde hart und direkt geschlagen, aber das rel. zähe Material ließ trotzdem keinen besonders großen Bulbus entstehen. Das hätte bei glasigerem Material sicher anders ausgesehen.

Schöne Grüße...

Robert
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Re: Levallois-Kern

Beitragvon LS » 01.11.2012 20:29

Na die Herren, Ihr habt wohl den Bronze Age Orientation Day verpasst...? :3:
http://www.youtube.com/watch?v=EZ15vUjgqvw

Mal im Ernst: Robert, werd ich gelegentlich gern machen, die Sachen sind aber schon im Schrank des eigentlichen Auftraggebers.

@2: Geweihhammer zum Abtrennen des Zielabschlags ist legitim, weil Geweihhämmer schon seit Boxgrove bei der Herstellung von Faustkeilen nachgewiesen sind. Ich habe einen weiteren Beleg aus der Eem-Warmzeit in der Schublade, also klassische Levalloistechnik-Zeit.

Grüße, L.
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Re: Levallois-Kern

Beitragvon Blattspitze » 01.11.2012 23:14

LS hat geschrieben:weil Geweihhämmer schon seit Boxgrove bei der Herstellung von Faustkeilen nachgewiesen sind. Ich habe einen weiteren Beleg aus der Eem-Warmzeit in der Schublade


http://books.google.de/books?id=sQ5Hqf3 ... er&f=false

Bilder:
http://www.flickr.com/photos/92838913@N ... 4986179593
Knochenhammer?
http://www.flickr.com/photos/92838913@N ... 4986179593
Geweihhammer
http://www.flickr.com/photos/92838913@N ... 4986179593

Legitim natürlich, allerdings emfinde ich einen Schlagstein als einfacher zum Lösen eines größeren Abschlages. Und meines Wissens finden sich keine Lippen an Levallois-Zielabschlägen, oder doch?
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Re: Levallois-Kern

Beitragvon LS » 02.11.2012 10:59

Hallo Marquardt,
immer wieder erstaunlich, aus welchen Winkeln des Internets Du da was findest... :-)

Deine Aussage mit der Randlippe überrascht mich, weil Du als Vollprofi doch sicher zustimmst, dass Randlippen keineswegs zwingend sind für weichen Schlag mit Geweih. Das sind so Pauschalurteile von Archäologen, die ihr kleines angelerntes Theoriewissen pflegen müssen. Mich hat mal ein Archäologe kritisiert als ich geschrieben habe, dass große Schlagaugen eher ein Zeichen für natürlichen Trümmerbruch sind. Weil der Kollege nur grobmotorisch mit Riesenschlagsteinen auf Flint rumgedeppert hat, fand er seine Schlagaugen zwingend... Bei gezielten gut dosierten Schlägen treten sie dagegen kaum auf.
Ich selbst hab einige Jahre recht intensiv Faustkeile mit Geweihhämmern hergestellt und halte für mich persönlich fest: Randlippen treten bei gut dosierten Schlägen und gutem Rohmaterial eher selten auf. Je besser der Schlag abfließt, um so flacher die Bulben, so wie auch bei vielen Levallois-Abschlägen. Vielleicht gibt es Leute, bei denen viele Randlippen auftreten, das mag auch ein subjektiver Faktor des Anstellwinkles etc. sein. Ich kann es jedenfalls nicht bestätigen.

Grüße, L
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Re: Levallois-Kern

Beitragvon ulfr » 02.11.2012 12:22

Der Zielabschlag weist eine kaum fühlbare, aber doch vorhandene Lippe auf.
Ich habe aber eben nochmal einige der Präparationsabschläge angeschaut, die ich alle aufgehoben habe. Sie sind wie gesagt mit einem mittelgroßen Quarzitklopps abgeschlagen, zeigen aber ebenfalls eine Lippe, die sich von der des Zielabschlags kaum unterscheidet. Lediglich die Bulben sind dicker, und die Schlagflächen sehen anders aus, sie sind größer, was aber auch daran liegen mag, dass ich vor dem Abtrennen der Präparationsabschläge die Schlagfläche nicht präpariert habe - definierte Plattformen - sondern munter drauflosgeklopft habe, einzig darauf bedacht, den Schildkrötenbuckel einigermaßen sauber hinzubekommen.

Angesichts dieser und anderer Dauerdiskussionen um bestimmte Effekte beim Pöckern (s.o.) und immer noch offener Rätsel wie "Wenn man Flint in Wasser einlegt, nimmt er es in sich auf" möchte ich anregen, gezielte und belastbare (Serien)Experimente zu diesen Themen durchzuführen, also gewissermaßen das Pöckern zu "ergersheimisieren" :D

Wer macht mit?
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Re: Levallois-Kern

Beitragvon FlintMetz » 02.11.2012 13:26

Bin ich natürlich mit großem Interesse dabei - ist ja eh schon sehr lange Überfällig, mit der ganzen Gerüchteküche aufzuräumen. Da ist in den letzten Jahrzehnten so viel Mist geschrieben worden, dass es mir in 90% aller Inhalte die Zehennägel aufstellt!
Viele Erscheinungen (auch so simple Sachen wie Bulbus usw.) stehen und fallen auf jeden Fall in direktem Zusammenhang mit den Rohmaterialeigenschaften. Die machen so extrem viel aus, dass man es nicht glauben mag, wenn man nicht explizit darauf achtet (wird auch ein nicht unwesentlicher Teil meiner Diss sein).Das wird sicher sehr interessant und bedeutet aber auch eine riesen Menge an Arbeit.

Schöne Grüße...

Robert
(...der es notgedrungen auch gewohnt ist, z.T. auch mit recht üblem Rohmaterial zu arbeiten :D )
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Re: Levallois-Kern

Beitragvon Trebron » 02.11.2012 13:37

Sehr interessante Geschichte hier, da bleibe ich dran !!!

Alleine die Bestimmung, in welchem "Zustand " das Rohmaterial vor der Arbeit und in deren Verlauf es ist , bzw bleibt macht mich neugierig :mammut2:
Wer nur zurück schaut, sieht nicht was auf ihn zu kommt
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Re: Levallois-Kern

Beitragvon Blattspitze » 02.11.2012 14:07

Was Levallois etc. angeht, bin ich bestenfalls Lehrling, auf keinen Fall Profi und Voll schon gar nicht ... Was mich aber nicht davon abhält, hier eine dicke Randlippe zu riskieren ...

LS hat geschrieben:doch sicher zustimmst, dass Randlippen keineswegs zwingend sind für weichen Schlag mit Geweih

Ich stimme zu, allerdings wenn, so entstanden Lippen bei den von mir produzierten Abtrennprodukten fast immer nur dann, wenn der Schlag auf die Kante und nicht dahinter auf eine schön definierbare Schlagfläche geführt wurde. "Schlagaugen" sind üblicherweise auch nur gut auf "schönen" Schlagflächen bei transluzentem Material erkennbar? Die Schlagflächenpräparation, die vielfach bei Zielabschlägen des Levallois-Konzeptes erkennbar ist, auch der "Gendarmen-Hut", deuten meiner Ansicht nach auf ein Schlaggerät hin, das die Finger in die Nähe des Geschehens bringt, der Schlagpunkt wird dabei schön freigestellt, damit auch ein runder Stein richtig trifft. Jedenfalls keine Präparation mit verrundeter Kante, wie sie für weiche Schlaggeräte bei z.B. Faustkeilproduktion sinnvoll ist. Wenn regelmäßig Lippen bei Zielabschlägen beobachtbar wären, könnte dies ein Hinweis auf weiche Schlaggeräte sein, was ich aber eben für den überwiegenden Teil aller Levallois-Produkte bezweifle.
Nach Eric Boeda`s umfangreichen Exp.s wurden harte Schlagsteine verwendet? Habe ich das richtig in Erinnerung?

ulfr hat geschrieben:gezielte und belastbare (Serien)Experimente zu diesen Themen durchzuführen

Oha, belastbar? Das müssen dann Grundlagen-Exp. sein, mit Isolation von Variablen? Dann benötigen wir P. Kelterborn`s Maschinen. Zur Wasser-Aufnahme von Flint bräuchten wir nur Flint, Wasser, eine genaue Waage, Uhr und ein Protokoll ...? Hat das jemand zuhaus?
Ich bin interessiert!
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Re: Levallois-Kern

Beitragvon ulfr » 02.11.2012 14:38

Das Problem ist die genaue Waage, ich hab nur eine auf 1 g genau, es sollten wohl schon Zehntelgramm oder gar Hundertstel? angezeigt werden?
Wie könnte man das anstellen? Flintbrocken mit möglichst glatten Flächen aussuchen, trocken wiegen, für einen bestimmten Zeitraum in Wasser einlegen, oberflächlich abtrocknen und wieder wiegen ...? Zeitraum verlängern und erneut wiegen ...? Der Brocken müsste wirklich sehr glatt sein, damit nach dem Entnahme aus dem Wasser keine Flüssigkeitsreste in der Oberfläche verbleiben, z.B. in der Cortex oder in vorhandenen Klüften/Rissen.

Belastbar im Sinne von P. Kelterborn wäre schön, erscheint mir aber zunächst etwas zu weit gesprungen, das ist wohl für uns "nebenbei" nicht leistbar. Würde es nicht für´s erste ausreichen, wenn wir beim nächsten Pöckertreff mal zu mehreren Leuten (damit wäre schon mal die Konstante: "eine Person schlägt auf ihre gewohnte Weise" entschärft?) alle Bearbeitungsmethoden, vor allem direkt hart und direkt weich, durchspielen und die Resultate analysieren? Kamera mit guten Makrobildern hätte ich. Was bräuchten wir noch? Ein halbwegs leistungsfähiges Mikroskop... Das wird auf dieser Ebene kein wissenschaftlicher Versuch werden, aber es sollten genug optisch und haptisch feststellbare Ergebnisse zusammenkommen, um vorsichtige Schlussfolgerungen ziehen zu können ...
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Re: Levallois-Kern

Beitragvon FlintMetz » 02.11.2012 22:13

Die wissenschaftlich vorbildliche Exaktheit von P. Kelterborn zu erreichen bedeutet in der Tat sehr viel Vorbereitung und vor allem ein festes Konzept. Trotzdem lohnt sich der Aufwand auf jeden Fall, um nicht in Wischiwaschi-Basteleien ohne Aussage zu enden.
Aber ich habe schon mal vorgeschlagen, beim nächsten Treff ein kleines Quiz zu starten. Jeder bringt vorbereitete Sachen in verschiedenen Techniken mit und alle dürfen dann mal eine Schätzung über die jeweiligen Herstellungstechniken abgeben (die Kandidaten werden natürlich getrennt von einander befragt :D ).
Ich kann zumindest mal ziemlich grusligen Quarzit und Radiolarit mit nach Dänemark nehmen. Ich habe selber gestaunt, denn ganz egal, wie hart oder direkt man da drauf ballert - es gibt einfach keinen wirklichen Bulbus und auch sonst sieht alles anders aus, als in der Theorie. Interessant wäre auch, ob mit so Zeugs überhaupt Druckklingen in der klassischen Technik möglich sind. Ich glaube da nicht dran.
Bin gerade am basteln einer Maschine mit Kraftmessern darin. Nur ist mir momentan die passende Kraft- und Druckmess-Dose mit über 1000 € zu teuer (Kommunikation mit dem Bundesanstalt für Materialprüfung läuft schon) und eine Schnittstelle samt Software für den Computer ist von Nöten, damit ich vernünftige Diagramme bekomme. Wenn ich eine billigere Lösung gefunden habe, kann aber die "Produktion" losgehen :wink:

Schöne Grüße...

Robert
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Re: Levallois-Kern

Beitragvon Blattspitze » 11.11.2012 21:57

Ich habe hier noch etwas, nicht direkt Levallois aber entfernt verwandt:

"Kombewa".
Bei einem ausreichend voluminösen Abschlag wird eine Schlagfläche nah am Bulbus vorbereitet und dann, zack, wird über den gleichmäßig gewölbten Bulbus ein Zielabschlag abgetrennt. Das Ergebnis sieht dann meist so aus, als wenn zwei Ventralseiten vorliegen.

Die Südskandinavische Kombewa-Pfeilspitzen - Variante:
Dann noch schnell einen Querschneider herausgedrückt, der keine störenden Grate aufweist. - Der ideale Querschneider und sehr leicht zu Schäften, da er sich im Schäftungsschlitz immer sofort ideal ausrichtet.
Typisch für die ältere Erteböllekultur in Nordjütland.
Für das Foto habe ich das Endprodukt wieder an den Kern angepasst:
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Re: Levallois-Kern

Beitragvon FlintMetz » 11.11.2012 22:38

Klasse Technik, keine Frage. Und das Endprodukt überzeugt in jeder Hinsicht. Aber einem Südländer wie mir, der unter permanentem Silex-Mangel leidet, dreht sich angesichts dieser Materialverschwendung da glatt der Magen um :lol:
Das wäre wohl meinen Süd-Mesolithikern sicher genau so gegangen - sowas kann man wirklich nur machen, wenn man im Flint schwimmt. Bei uns wurden sogar die Mikrolithen noch recycelt!!!!!

Schöne Grüße...

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