Viele Kinder für grössere Überlebenschancen?

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Viele Kinder für grössere Überlebenschancen?

Beitragvon Manu » 28.09.2009 11:21

Hallo zusammen,

immer wieder werde ich gefragt, ab welchem Lebensjahr und wie viele Geburten eine Frau in ihrem (steinzeitlichen!) Leben hatte. Antwort: Ahem :?

Ich wüßte gerne eure Meinung und auch, ob es wohl nach der Neolithischen Revolution Änderungen gab, in Bezug, daß mehr Kinder für Feldarbeiten gebraucht wurden, aber eben auch mehr Vorräte benötigt wurden.

Eine Dame sagte einmal zu mir: "Je weniger die zu Essen hatten, je geringer und später (Lebensalter) sind die Geburten. Das paßt sich automatisch an".

Gibt es da Untersuchungen? :matrone:

Manu
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Beitragvon ulfr » 28.09.2009 11:58

Kann leider aus akutem Zeitmangel momentan nicht recherchieren, Du wirst aber sicher fündig in:

Auffermann, B./Weniger, G. (Hrsg.) 1998: Frauen - Zeiten - Spuren. Neanderthal-Museum

Ehrenberg, M. 1992: Die Frau in der Vorgeschichte, Kunstmann

Nächste Woche kann ich da auch mal reinschauen.

Ganz kurz: ich denke, dass sich die Geburtenrate über die Lebensqualität von allein regelt (Ausbleiben der Menstruation in Stress- oder Hungerphasen, durch Stillen etc.) Anhand ethnologischer Parallelen kann man schließen, dass Frauen sobald und dann sooft als möglich schwanger wurden...
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Beitragvon Turms Kreutzfeldt » 28.09.2009 14:42

Ganz kurz: ich denke, dass sich die Geburtenrate über die Lebensqualität von allein regelt (Ausbleiben der Menstruation in Stress- oder Hungerphasen, durch Stillen etc.)


so in etwa hätte es meine "Hausärztin" auch beantwortet. Auch größere Anstrengungen z.B. längere Fußwanderung über Tage und Wochen kann Schwangerschaft verhindern. Aber ob es dazu wirklich ausagekräftige Untersuchungen gibt, was wirklich über dem von Ulf hinaus geht?

Dein Turms
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Beitragvon Roeland Paardekooper » 28.09.2009 15:04

war gerade im Archeopark Schnalls (Theme Oetzi) wo in der Ausstellung viel darueber geschrieben wird, aber dann vor Allem bei Jaeger-Sammler (inkl. Ethnographische Beispiele).

Kenne die Quellen nicht, aber einige Sachen die beschrieben wurden:
- am spaeteren Alter erst fruchtbar
- wegen Anstrengung, weniger Essen usw seltsamer Ovulation
- fruehere Menopause
- viele Kinder die jung sterben

... hiess warscheinlich das eine Frau in der Jaeger-Sammler Steinzeit nicht mehr als 4 - 5 Kinder hatte, maximal.

Du koenntest mal in Schnalls nachfragen wie und was genau.

Roeland
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Beitragvon Thomas Trauner » 29.09.2009 14:42

Ich befürchte, da reiht sich eine Mutmaßung an die andere.
Rein archäologisch lässt sich da wohl nichts oder kaum was herleiten. Schon gar keine Vergleichszahlen um darin einen Veränderung oder einen Trend erkennen zu können.

Generell bleibt es bei der Aussage, dass Sesshaftigkeit und der Übergang von der aneignenden zur produzierenden Wirtschaftsweise höhere Geburtenraten und höhere Überlebenschancen der Kinder nach sich zieht.
Irgendwas ist dran, anderenfalls hätten wir ja nicht den Bevölkerungsdruck, den wir ja haben.

Sich jetzt konkret auf bestimmte Faktoren festzulegen, die das verursachen scheint mir sehr, sehr schwierig zu sein. Nicht nur die Ernährungslage, sondern soziale Komponenten wie Gesellschaftsstruktur, Rolle der Frau, Zahl des Geschlechterverhältnisses, Bildungsstand, Soziale Schicht, biologische Gegebenheiten etc. sind in ihrer Wechselwirkung so komplex, dass hier eine konkrete Aussage wirklich schwer fällt.
Ethnologische und biologische Daten liefern aufgrund des maximal subrezenten Alters der Daten kaum sichere oder zwingende Aussagen.
Archäologische Daten bringen kaum etwas, schon alleine deswegen, weil über die Zeiten und Kulturen die Bestattungssitten so uneinheitlich waren, dass jeder Datensatz hierzu nicht valide ist.

Nur geringe Änderungen in den denkbaren Faktoren können zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen führen.

Ich bin mir da wirklich letztlich nicht schlüssig.

Damit es doch ein wenig konstruktiv bleibt, ein Versuch:

Folgende Ansätze bringen gar nichts:

a) jedwede ?hypernatürlichen? Ansätze . Die Natur ?weiß? nichts, Beobachtete Änderungen und/oder ?Entwicklungen? haben immer eine nachvollziehbare Erklärung.

b) jedwede Rollendiskussionen. Ich denke dabei an wilde Spekulationen wie die, dass erst mit dem Neolithikum ein Eigentums- und Besitzbegriff aufkam, der sich dann auch auf die Frau als Eigentum oder Besitz des Mannes auswirkte. Die Neolithisierung als Beginn des Patriarchats und ähnliche Theorien.
Oder die selbstbestimmten Jägerin, die sich ihre Partner er- und dann wieder verjagte und ihre Rezeptionsbereitschaft im Einklang mit der Natur selbst regelte...

Und das gesunde Partner gesunde, überlebensfähige Kinder zu Welt bringen, dass die Fruchtbarkeit beider Partner von deren körperlichen und seelischen Belastungen abhängt, dass Frauen- und Rollenbild natürlich Faktoren sind, ist eigentlich banal.

Die Frage ist, welche Faktoren die obigen letztlich beeinflussen.

Folgende Ausgangslage:

1. Wir sind Gesellschaftstiere.
2. Wir sind immer jahreszeitunabhängig paarungs- und rezeptionsbereit.
3. Die Gruppenstruktur begünstigt Überlebenschancen der Kinder
4. Es gibt keine evolutionäre Hierarchie in der Paarbildung
5. Die Rezeptionsfähigkeit der Frau und die Fruchtbarkeit des Manns ist im Vergleich zur Lebensspanne anderer Säuger lange.

Die Voraussetzungen, dass wir uns quasi explosionsartig vermehren, sind damit gegeben.
Veränderungen ergeben sich demnach zwangsläufig nur aufgrund äußerer Bedingungen.


Damit stellt sich erstmal eine grundlegende Frage.
Sind die oben genannten evolutionären Vorgaben aufgrund äußerer Bedingungen veränderbar ? Sind sie tatsächlich statisch ?
Sind sie zusätzlich positiv oder nur negativ beeinflussbar ?

Punkt 1 ?3 sind unter noch so paradiesischen Zuständen im Sinne einer noch besseren Fortpflanzungsrate nicht mehr zu toppen.
Punkt 4 (nur die stärkste Frau/nur der stärkste Mann pflanzt sich fort) ist letztlich eine archaische Evolutionsstrategie. Hier wirkt die menschliche Gruppenstruktur beim Überleben der Jungen mehr und nachhaltiger ein, als die reine Bevorzugung der körperlichen Stärke.
Auch hier ist eine ?Verbesserung? erstmal nicht vorstellbar.
Biologisch brauchte also am Übergang zum Neolithikum keine Änderung herbeigeführt werden, die Voraussetzungen der maximalen Paarungen (Anzahl der Frauen mal Anzahl der Männer) waren schon gegeben.

Ich gehe also davon aus, dass lediglich Punkt 5 (Fruchtbarkeitsdauer innerhalb der Lebensspanne) im Verdacht stehen kann, durch Umweltbedingungen dauerhaft positiv veränderbar zu sein. Wie oben schon bemerkt, scheinen ja tatsächlich die Umweltbedingungen der Jäger/innen und Sammler/innen kontrarezeptionell zu wirken.

Allerdings stellt sich das Problem, ob diese Veränderungen nicht einfacher durch einen dauerhaft besseren Gesundheitsstatus erklärt werden können, als durch genetische Veränderungen.

Deshalb folgender Schluss:

Die Umwelt- und Sozialbedingungen wirken sich faktisch nur negativ aus, dass heißt im schlimmsten Fall reduzieren sie die Geburtenrate auf null, aber auch im besten Falle können keine höheren Geburtenraten erzielt werden, als die, die evolutionsbiologisch/arithmetisch möglich sind.

Optimieren sich nun die Bedingungen durch die Sesshaftigkeit ?

Dafür:

- Die Gruppe wird stabil
- Die Ernährungslage wird gleichmäßiger und stabiler
- Optimierte Wohn- und Lebensräume stabilisieren die Gesundheit
- Entfällt ein Versorger, eine Versorgerin kann die Gruppe einspringen
- Die zunehmende Siedlungsdichte begünstigt genetischen Austausch, d.h. Partnerwahl aus einem anderen Genpool wird leichter, der Genpool bleibt lebendig.
- Überschussproduktion
- kürzere Stillzeiten durch Babyersatznahrung, damit höhere Rezeptionsfähigkeit
- Die Notzeiten werden pro Jahr zeitlich geringer. Rechnerisch steigt damit die Anzahl der möglichen Geburten stark an, da die monatliche Rezeptionsmöglichkeit und die Schwangerschaft von durchschnittlich 38 Wochen außerhalb des jahreszeitlich bedingten Ernterythmus liegen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Rezeption durch eine Notzeit behindert wird oder das Kind während einer Notzeit geboren wird, fällt also.

Dagegen:

- Das Zusammenleben mit Tieren begünstigt (Infektions-)Krankheiten
- Sozialstrukturen beeinflussen Partnerwahl und Sexualverhalten
- Stärkere körperliche Belastung durch häufigere und einseitige Tätigkeiten.
- höhere Gefahr an Kinderkrankheiten durch kürzere Stillzeiten.

Stellt man diese Pro- und Contras gegenüber, würde ich meinen, dass die Paarungshäufigkeit aufgrund neuer sozialer Regeln unter Umständen Gefahr läuft, leicht abzunehmen, möglicherweise sich auch der Beginn der selbstbestimmten Sexualität beider Geschlechter nach hinten verschieben kann.
Allerdings wird dies durch die stabilere Gesundheitslage mehr als wettgemacht.

Die bessere medizinische Situation verbessert:

- Zeugungsfähigkeit des Mannes und Rezeptionsfähigkeit der Frau
- den Verlauf der Schwangerschaft und Geburt
- Überlebenschancen des Kindes.

Zusätzlich verbessert sich aufgrund der neuen Sozialstruktur die Überlebenschance eines Kindes zusätzlich.

Zusammenfassung:
Evolutionär ändert sich nichts. Die stabilere Lebensgrundlage optimiert die vorhandenen biologisch/Medizinischen Fortpflanzungsmöglichkeiten.
Sozialstrukturen wirken wohl eher gegen theoretisch denkbares maximales Paarungs- und Fortpflanzungsverhalten.
Die Geburtenrate pro Frau bleibt wohl stabil, sie kann durch Stillzeiten, Sozialstrukturen oder eigene Körperbeobachtung beeinflusst werden.
Die Frauen waren also wohl nicht dauerschwanger.
Allerdings steigt die Überlebensfähigkeit der Kinder deutlich.

Kurz:
Sexualverhalten wurde wohl komplizierter, Sexualität vielleicht sogar eingeschränkter möglich.
Die Wahrscheinlichkeit der erfolgreichen Schwangerschaft und die Überlebensfähigkeit der Kinder stieg jedoch stetig.

Oder noch kürzer:
Nicht mehr Sex, aber mehr Kinder.

Thomas
Thomas Trauner
 

Beitragvon KatrinA » 30.09.2009 07:34

Danke, Thomas, für diese meines Erachtens sehr nützlichen und logischen Ausführungen!

Ich kenne mich wenig mit Steinzeit, aber rudimentär mit Ethnographie aus und möchte einen Aspekt noch mal herausgreifen:

Ich stelle jetzt einfach mal die These auf, dass auch in "primitiven" Gesellschaften das Grundwissen über die Zusammenhänge zwischen Geschlechtsverkehr, Menstruation und Empfängnis vorhanden ist. Damit auch die Möglichkeit, zu "verhüten", wenn auch nicht in unserem modernen Sinne (insb. Enthaltsamkeit, unterschiedliche Sexualpraktiken). Dies kann auch gesellschaftlich gesteuert werden (z. B. durch bestimmte Tabus, die Enthaltsamkeitsperioden verlangen).

Die Idee, dass Menschen "früher" einfach besinnungslos rumgep***t haben und daher eine Frau zwangsläufig dutzende Schwangerschaften hatte, wenn sie nicht gerade wg. Stillen, Hunger, Krankheit temporär unfruchtbar war, halte ich für wenig plausibel.
:matrone:
KatrinA
 

Beitragvon ulfr » 30.09.2009 09:25

Die These möchte ich infrage stellen, denn in vielen subrezenten und rezenten bzw. "primitiven" Ethnien ist der Zusammenhand zwischen Sexualität und Fortpflanzung keineswegs bekannt.

Zur Empfängnisverhütung ganz interessant der Aufsatz von K. Weiner: "Unter anderen Umständen in guter Hoffnung ... Bemerkungen zum Umgang mit schwangerschaftsverhütenden Maßnahmen in der Vor- und Frühgeschichte", Archäologische Berichte 11, Bonn: Habelt, 95-109

Zum "sinnlos rump***en" - ich kenne mich im Mittelalter nicht so gut aus, meine aber zu wissen, dass dunnemalen Familien mit 10 Kindern und mehr nicht selten waren, wobei die Zahl der Schwangerschaften noch größer gewesen sein dürfte wegen der hohen Kindersterblichkeit. Nimmt man die geringere Lebenserwartung dazu, könnte ich mir schon vorstellen, dass Frauen - wenn nicht zwangsläufig durchgängig, dann doch häufig - schwanger waren.
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Beitragvon Thomas Trauner » 30.09.2009 14:16

Recht komplex, das alles......

Ich habe mich erstmal auf die Frage konzentriert, ob die Neolithisierung hier positive Änderungen erbrachte.
Dies denke ich immer noch. Weil die Bevölkerungsexplosion und die zunehmende Landnahme ja tatsächlich Fakt sind.
Ich denke, dass sich evolutionär nichts geändert hat, also Rezeptionsbereitschaft und Fruchtbarkeit keine positiven Veränderungen fanden.
Die stabilere Lebenssituation förderte m.E. die erfolgreiche Schwangerschaft und die Überlebenswahrscheinlichkeit der Kinder.

Da, jetzt mal unabhängig von der Reproduktionsrate, mit der Neolithisierung größere Gruppen gebildet wurden, die ersten Schritte zur Urbanisierung stattfanden, denke ich, dass gleichzeitig die sozialen Regelungen komplexer wurden, bis hin zur Erfindung und Ausarbeitung komplexerer, quasi urbaner Religionsvorstellungen zur Überwachung dieser Regeln.
Nicht nur wegen irgendwelcher Schwangerschaften, Eifersucht, Vergewaltigung, Inzest, Versorgungsfragen der Nachkommen, sondern um die Gemeinschaft grundsätzlich zu regeln.


Was die oben genannten Analogschlüsse angeht:

A) Die Frage, ob überhaupt und ab wann und in welcher Kultur der Zusammenhang zwischen Sex und Schwangerschaft erkannt wurde, ist äußerst interessant und wohl auch wieder von verschiedenen Faktoren abhängig.
B) Die ?Wunschanzahl? von Kindern ist, denke ich, recht eindeutig kulturell bedingt. Wirtschaftliche Prosperität und daraus resultierende Fragen wie Erbrecht und Versorgungsproblematik der alten Menschen spielen hier eine große Rolle, nicht nur das reine Sexualverhalten.

Um B, die Anzahl der Kinder, zu regeln, muss A, Kenntnisse in Sachen Sex/Schwangerschaft beantwortet werden.
Zur grundsätzlichen Frage ob in der neolithischen Gesellschaft der Zusammenhang zwischen Paarung und Geburt bekannt war...

Drei Beobachtungen:

- zumindest ab der Bronzezeit wissen wir es. Sonst wären die entsprechenden Kapitel in der Bibel oder in etwa zeitgleichen anderen Quellen nicht vorhanden. Onan hätte kein Problem, Sodom stünde noch, Gilgamesch hätte kein Problem mit seinem Freund Enkidu und Ödipus könnte prima sehen. **
Bestünde keine ?korrekte? Vorstellung von Sexualität, wären ja deren nichtrezeptionellen Spielarten nicht geächtet....
- in die Wiege gelegt wird uns, außer Lust, Begierde und Liebe nichts. Wir erkennen zwar eine/n Partner/in und wissen wohl auch irgendwie und wann, was in etwa zu tun ist, wissen jedoch nur über Lernen, was was bewirkt.
- Abergläubische Riten, um erfolgreiche Schwangerschaften zu erzielen, laufen durch alle Zeiten.

Die Erkenntnis der Wirkungszusammenhänge ist auch erstmal tatsächlich schwierig.

Aber: Dass eine Jungfrau nicht schwanger wird (oder lügt...), dass gleichgeschlechtliche Paare keine Kinder hervorbringen, ist nicht so schwer zu erkennen. Zu wissen, was, außer Sex, genau wann und wie geschehen muss, um tatsächlich eine Schwangerschaft zu erzielen, ist eine andere Frage.
Dass zumindest die Paarung nötig ist, muss aber im Neolithikum bekannt gewesen sein, da zur Domestikation von Tieren auch deren Zucht nötig ist.

Da nicht jede Paarung eine Schwangerschaft hervorbringt, ist die Frage, inwieweit nicht zusätzlich göttliche Einwirkung gefordert wurde, um eine Schwangerschaft zu garantieren.
Dies würde die zusätzlichen Riten oder die Überhöhung der ?Mutter? gut erklären.
Aber dass überhaupt kein Zusammenhang zwischen Paarung und Schwangerschaft erkannt wurde, halte ich für sehr unwahrscheinlich.

Hypothese:

Dass die Voraussetzung für Schwangerschaft eine vollendete Paarung ist, war bekannt. Warum jedoch die eine Paarung Schwangerschaften hervorbringt, die andere jedoch nicht, nicht.

Davon ausgehend, denke ich, dass bei Kinderwunsch häufige Paarungen, z.T. natürlich sinnlos im Sinne der Schwangerschaft, stattfanden und danach fest gebetet, geopfert oder sonstige zusätzliche Riten folgten. Wurden Kinder nur in Kauf genommen...na ja, dann halt ohne folgende Riten.
Sollten keine Kinder folgen, waren entweder nichtrezeptionelle Praktiken oder gar Enthaltsamkeit das Mittel der Wahl.

Genauere Methoden zur Schwangerschaftsverhütung trotz vollendeter Paarung korrelieren m.E. mit generellem Wissenszuwachs.
Da wäre jetzt meine Arbeitshypothese, dass dieser Wissenszuwachs mit Überschussproduktion, zunehmender Kommunikation und entsprechend geänderten Sozialstrukturen zusammenhängt.
Erst dann wird ja Arbeitskraft frei, um entweder erstmal über die Problemlage nachzudenken und/oder Berufliche Qualifikationen und Arbeitsteilung hervorzubringen. (Hebamme, Ärzte/innen)
Ich denke also, dass sich, so komisch dies jetzt klingt, tatsächlich erst mit Webstuhl, Pflug und Rad eine gezielte Schwangerschaftskontrolle ergab.

Anmerkung: Die reine Geburtshilfe, die natürlich auch während der Jäger/Sammler/innen-Steinzeit zu fordern ist, hat damit nichts zu tun. Hier werden natürliche Abläufe unterstützt und vielleicht optimiert, jedoch kaum beeinflusst. Hier genügt reines Erfahrungswissen aufgrund einfacher Beobachtung.


Nun noch zur Frage der sozialen Erwartung in Sachen Kinderzahl:

Da die Anzahl der Kinder in einer Gruppe die Prosperität der Gruppe deutlich beeinflusst, denke ich, dass jede Rollenzuweisung an die Frau und damit deren ?Pflicht? lebende Kinder zu haben, sich aus der wirtschaftlichen Lage ergibt.

Was hier wiederum auffällt, ist die Erhöhung der besiedelten Flächen bei gleichzeitiger Verkleinerung der Häuser und Siedlungsareale ab dem späten Mittelneolithikum bis hin ins Endneolithikum. Es findet offenbar eine Verkleinerung der ?Kerngruppen? statt, der Verdacht fällt auf eine Gruppe, die wir heute als ?Familie? bezeichnen.

Das lässt vermuten, das die zunehmende Prosperität und stabile Überlebensraten der Kinder, die ?Familie? als Kernorganisation und Grundlage einer sozialen Ordnung wichtig werden ließ. Der Zusammenhang zwischen Sex-Gesundheit-Prosperität-Familienbildung-Sozialstruktur anhand von Reichtum und Verwandtschaft bildete sich jetzt wohl aus.

Damit hat sich dann wohl auch die Erwartung an die Frau als Wirtschaftsfaktor ?Mutter? etabliert.
Und damit auch die ?Privatisierung? der Kinder- und vor allem der Altenversorgung.

Wobei wir dann bei der absurden und paradoxen Situation sind, dass arme Familien viele Kinder........


Nun gut.

Vielen dank für Lesen. Mich hat einfach der Denksport gereizt....

Thomas

***Und der liebe Gott Abrahams wäre sicher keine Vaterfigur mit Bart, sondern eine Frau, dick und glücklich.......
Thomas Trauner
 

Beitragvon Manu » 01.10.2009 08:43

Hi,

Die Ausführungen zu diesem Thema sind sehr ausführlich und ich bedanke mich für die Meinungen, allerdings werde ich noch 4-5 Wochen brauchen, um sie zu vertiefen. Ich finde das ein hochspannendes Thema.

Thomas Trauner schreibt:

Recht komplex, das alles......


Das find ich jetzt auch, mein Kopf raucht. Wenn ich jetzt aber in zwei, drei Sätzen etwas auf die Frage: Ab wann haben die Mädchen Kinder bekommen und waren sie dauernd schwanger? antworten soll, ist es denke ich nicht falsch zu sagen:

Wissen Sie, das Thema ist sehr komplex. Evtl. gibt es einen Zusammenhang zwischen der Anerkennung der Familie, als kleinste soziale Einheit und der Frau in der Aufgabe der Mutter gesunde Nachkommen zu gebären, zu erziehen und zu schützen. Mit der Anzahl der Kinder sichert sich die Familie im Dorf eine gute Position. Auch schützen die Kinder ihre Familie und versorgen die Eltern im Alter. Im Mittel- bis Endneolithikum fällt nämlich auf, daß die die Häuser- und Siedlungsareale kleiner werden, während die Felder und Weidenflächen zunehmen.

Bei dieser Ausführung fehlt natürlich (alles), daß es evtl. auch einen Zusammenhang mit Erbe/Besitz somit Machterhaltung für einer Familie im Dorf gibt. Daß der Mann evtl. Einfluß nehmen möchte, daß seine eigenen Gene weitergegeben werden. Das sichert er sich mit der "Familie". Frauen profitieren davon, daß der Mann sich für seine Kinder zuständig fühlt.

Roeland Paardekooper schreibt:

... hiess warscheinlich das eine Frau in der Jaeger-Sammler Steinzeit nicht mehr als 4 - 5 Kinder hatte, maximal.


So wie ich es verstehe, resultiert das aus der starken körperlichen Belastung der Frauen, der schwierigen Umweltbedingungen wie wenig Essen, lange Marschrouten.....
Das kann ich mir auch so vorstellen. Wäre noch die Frage, ob Frauen evtl. weniger umhergezogen sind als Männer, gerade um die Kinder und sich selbst zu schützen. Wäre vielleicht möglich. Ich habe vor einigen Jahren eine Diskussion mit einem südamerikanischen Schamanen geführt, der mir erklärt hat, daß in seinem Dorf Männer und Frauen völlig andere Aufgaben erfüllen und nicht ständig zusammen sind. Eher sind Männer bei Männer und Frauen bei Frauen (Vor - und Nachteile wurden auch disskutiert und ich erinnere mich, daß er sagte, daß sich die Geschlechter untereinander oft besser verstehen und helfen können ).

Noch ein Zitat von T. Trauner was ich bedenkenswert finde

Dass zumindest die Paarung nötig ist, muss aber im Neolithikum bekannt gewesen sein, da zur Domestikation von Tieren auch deren Zucht nötig ist.


Persönlich denke ich, daß es auch dem menschlichen Verstand nicht lange verborgen blieb, daß eine körperliche Vereinigung zu einem geliebten Menschen für Kinder sorgen kann, wie das vielfach in der Natur von den Menschen gesehen und beobachtet wurde.

Alles in allem ist das wahrscheinlich eines der interessantesten Themen, die uns Menschen bewegt. Darum wird es sicherlich auch so viel gefragt.
:storch:

Manu, die für weitere Thesen dankbar ist.
Manu
 

Beitragvon Manu » 01.10.2009 08:46

Sorry hab was vergessen:

***Und der liebe Gott Abrahams wäre sicher keine Vaterfigur mit Bart, sondern eine Frau, dick und glücklich......



Ist das denn nicht so ??? :heul:
Manu
 

Beitragvon Thomas Trauner » 01.10.2009 10:36

Ist das denn nicht so ???


Doch ? natürlich. Sie hat auch eher dunkle Hautfarbe.....

Auch deiner Zusammenfassung würde ich zustimmen.

Meine langen Ergüsse sind schwer zu lesen, ist klar. Das liegt daran, dass ich hier mal Gedanken live entwickelte und nicht einfach so parat hatte.

Ich versuch mal eine Zusammenfassung:

- Es gab eine Bevölkerungsexplosion
- Das lag nicht zwingend an häufigen Schwangerschaften, sondern an der verbesserten Überlebensrate der Kinder. Möglicherweise fiel sogar die Anzahl der Schwangerschaften.
- Der Zusammenhang zwischen Sex und Schwangerschaft war bekannt. Der ?Vater? spielte eine Rolle. Die Familie wurde vermutlich im Laufe des späten Mittelneolithikums zum tragenden Kern der Gesellschaft.
- Damit ergaben sich ?Wunschvorstellungen? über die Anzahl der Kinder und damit bestimmte Rollenmuster für Frau und Mann
- Die Anzahl der Kinder hängt im Minimum von der kulturellen Erwartung, im Maximum von der Prosperität der Familie/Gesellschaft ab.
Beeinflusst wurde das Minimum wohl auch über Riten, das Maximum über Verhütungsmethoden. Wobei gezielte Verhütung wohl mit der Fortentwicklung der Kommunikation zusammenhängt.

Archäologisch:
Linienband und Mittleres Neolithikum: Entwicklung normativer sexueller Regeln, aber mehr Kinder.
Spätes Mittleres Neolithikum: Aufspaltung der Gesellschaft in Familienverbände, Verwandtschaft wird bestimmend für die Gruppenbildung. Bildung unterschiedlicher, zeitgleicher Kulturen.
Jung- und Endneolithikum: Höheres Maß an Kommunikation, Beginn der Entwicklung von Verhütungsmethoden.

Wie bei allen Gesellschaftsmodellen stelle ich mir das nicht wirklich chronologisch vor, sondern als ein Prozess, der unabhängig voneinander in den unterschiedlichen Kulturgruppen unterschiedlich stark stattfand.
Belege: Keine, außer neolithischer Hausgrundrisse und bronzezeitliches Schriftgut.

Thomas
Thomas Trauner
 

Beitragvon Thomas Trauner » 05.10.2009 08:32

Querverweis:

Aus: http://www.zeit.de/2008/30/Familie

"Biologische Verwandtschaft wird höher angesehen als die zu der Zeit gepflegte Bestattungssitte«, meint der Anthropologe Alt.

und, zu einer anderen Bestattung:

"Tatsächlich blicken die Geschwister dem Kult entsprechend nach Süden, weil, so die Vermutung, keine biologischen Familienbande vorliegen."

Siehe auch threat zur Schnerkeramischen Familie aus dem Museum in Halle....

Thomas
Thomas Trauner
 

Beitragvon Manu » 05.10.2009 12:58

Hi,

ein sehr guter Artikel, danke :D

Gibt wieder einiges zum Nachdenken, aber die Familie, wie in diesem Artikel schon beschrieben, wurde wohl sehr geliebt, von der Person, die sie beerdigt hat. Evtl. waren die "Teenager" unterwegs, und die Angreifer haben gewartet bis die Luft "rein" ist.


Manu
Manu
 

Beitragvon KatrinA » 07.10.2009 10:45

Apropos Abraham, noch ne Ergänzung:
Als dem alten Ehepaar Abraham und Sara verkündet wird, dass sie doch noch einen gemeinsamen Sohn bekommen werden, widerspricht Sara: es ginge ihr doch gar nicht mehr "nach der Frauen Weise" (zitiert aus dem Gedächtnis).

Spricht meines Erachtens dafür, dass der Zusammenhang zwischen Menstruation und Fruchtbarkeit zum Zeitpunkt des Entstehens dieses Textes (wann immer das war) bekannt war.
KatrinA
 

Beitragvon Fredewulf » 07.10.2009 20:17

Thomas umfangreiche Abhandlung übersieht ein Mittel der Familienplanung: Die Kindstötung.
Tatsächlich war es in anderen Kulturkreisen (unter anderem bei den alten Griechen) üblich und erlaubt, ungewollte Kinder zu töten oder auszusetzen.
Fredewulf
 

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