Pigmentverwendung?

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Pigmentverwendung?

Beitragvon Fridolin » 09.01.2010 12:43

Neanderthal 'make-up' discovered
Scientists claim to have the first persuasive evidence that Neanderthals wore "body paint" 50,000 years ago.
The team report in Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) that shells containing pigment residues were Neanderthal make-up containers.
Scientists unearthed the shells at two archaeological sites in the Murcia province of southern Spain.

http://news.bbc.co.uk/2/hi/science/nature/8448660.stm
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Beitragvon Fridolin » 11.01.2010 23:21

Der Neandertaler Sinn für Schönes
Farbreste an Muscheln zeugen von Schmuck und Körperverzierung

Sicher konnte man sich bislang nie sein, wenn auf neandertalerzeitlichen Fundplätzen Gegenstände auftauchten, die verdächtig nach Schmuck aussahen. So gerne man auch dem Neandertaler einen Sinn fürs Schöne zusprechen wollte und so gerne man den alten Irrglauben widerlegen wollte, wonach hinter den klobigen Überaugenwülsten des robusten Eiszeitlers lediglich ein schwaches Lichtlein brannte.

Wenn aber in Neandertalerkontexten, in Frankreich etwa, durchbohrte Fuchszähne auftauchten, die durchaus als Anhänger gedeutet werden könnten, aber mit einem Alter von vielleicht 35 000 Jahren bereits aus einer Periode des Kontakts mit Homo sapiens stammten - könnte es dann nicht sein, dass sie über Irrwege in die falschen Schichten geraten waren? Vielleicht haben die Neandertaler lediglich imitiert, was ihnen die Neuankömmlinge aus Afrika vormachten. Anders gesagt: Indizien gab es immer wieder, aber der endgültige Beweis fehlte.

http://www.wissenschaft-online.de/artikel/1018746
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Beitragvon ulfr » 14.01.2010 08:16

Mehr Fotos und die Info, dass HN frischen Schellfisch mochte (kann ich gut verstehen)

http://news.discovery.com/human/neander ... meals.html

Der Spiegel:

http://www.spiegel.de/wissenschaft/mens ... 80,00.html
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Beitragvon Thomas Trauner » 14.01.2010 10:34

Eindrucksvolle Ergebnisse. Ich nehme sie jetzt einfach als valide hin und fang erst gar nicht an, mir irgendwelche möglichen anderen Ursachen für die Farben oder die Durchlochungen aus den Fingern zu saugen.
Aber ich habe immer noch ein Problem damit. Ich gebe es zu, ich bin da recht unsicher, vielleicht kann mir da jemand weiterhelfen.
Ich hänge einfach an den nicht vorhandenen Vorderhirnlappen des HN, in denen zumindest bei uns Kreativität und Abstraktion hirnregionmäßig verortet sind.
Möglicherweise mache ich mich da sogar lächerlich, weil ich da wirklich zu wenig Fachkenntnisse habe und trotzdem an dieser Argumentation hänge.
Aber kann mir da jemand heraushelfen. ?

Einfach andere Hirnleistungsregionen für den H.N. anzunehmen wäre mir zu dünn, da ja, es gibt ja Abgüsse von HN-Gehirnen, viele andere Regionen tatsächlich gleich gelagert zu sein scheinen.
Zum anderen reicht mir die Aussage, das man anhand des Jagdverhaltens und der Werkzeuge ja planvolles Verhalten, anhand besonderer Stücke auch Sinn für Schönes impliziert, nicht wirklich, um auch den Sprung zur nichtutilitaristischen Kunst zu schaffen.
Ich bin da besonders kritisch, weil mir es auch lieber wäre, wenn wir mehr Hinweise in Richtung Kunst hätten aber eben genau deswegen.
Ich sehe sonst einfach die Gefahr, dass uns unsere modernen soziologischen Gedanken einen Streich spielen.

Vielleicht auch wenn ich mich wiederhole, es geht mir natürlich nicht darum, dass H.N. nicht recht zielgerichtet handelte, nur dummes Zeug babbelte oder gar deswegen ausstarb.
Es geht mir wirklich nur um den Sprung in die Kunst. Wobei ich hier jetzt unter Kunst nicht „zwegfrei“ verstehe, sondern jede Tätigkeit oder jede Produktion von Artefakten, die nicht unmittelbar dem Überleben dienen (Schmuck etc.) oder dem Verdacht auszusetzen sind, dass sie tatsächlich Hinweise auf abstrakte aber trotzdem konkrete Vorstellungen auf irgendeine Metaebene des Lebens liefern. („Religion“ )
Ich komme um diese umständliche Definition nicht herum, weil wir ja gerade der figürlichen Kunst des Aurignaciens und des Gravettiens immer wieder einen bestimmten Zweck zuschreiben.

Ich hänge da einfach....
Thomas
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Beitragvon ulfr » 14.01.2010 11:21

Damit bist Du nicht allein :)

Ich denke, für zweckfreie Verschönerungsarbeiten liegen uns Belege schon aus viel früheren Zeiten vor. Man rufe sich nur die Faustkeile vor Augen, formschön bis hin zur vollkommenen Annäherung an das Prinzip des goldenen Schnitts. Ob das schon Kunst ist .... letztlich Definitionssache.

Die Durchlochungen der Muscheln können übrigens auch von gefräßigen Schnecken verursacht worden sein. Wenn ich mir eine gelochte Muschel jetzt, weil sie so dazu einladen, um den Hals hänge, ist das dann Kunst? Oder erst, wenn ich die Muschel selbst durchbohre?

Ist Schmuck Kunst? Vice versa?
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Beitragvon Steve Lenz » 14.01.2010 11:52

Aus Spanien gibt´s doch auch den Klarsicht-Faustkeil aus Kristall?! War hier kein anderes Material vorhanden oder wollte der Paläo-Pöckerer "mal was anderes"? Damit fängt´s m.E. schon an: Sich in irgend einer Form herausstellen - und wenn´s vor einem selbst ist.

Und ich seh´s auch schon so, dass man eine puristische Form von Kunst betreibt, wenn man das Auge für eine durchlochte Muschel hat - und eine Meinung, dass die an einem Lederband um den Hals sicher auffallen wird. Oder jemand anderem als Geschenk gefällt...
Aus den Augen - aus dem Sinn.
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Beitragvon Fridolin » 14.01.2010 12:37

Danke Wulf für die weiteren Links. Offen gestanden bestärken mich die neuen Bilder (http://news.discovery.com/human/neander ... meals.html )

in meiner Skepsis, denn meiner Einschätzung nach wurden die abgebildeten Muschelschalen nicht bemalt, es dürfte sich um natürlich entstandene Anhaftungen handeln.

Jakobsmuscheln sind von Natur aus bereits mit uneinheitlichen rötlichen und gelblichen Mustern geschmückt. Warum sollte man die zusätzlich noch mit ähnlichen Farben bemalen? Außerdem ist die Oberfläche ziemlich angewittert, die „Pigmente“ (es scheint sich ja nur um ganz gewöhnlich Erdfarben zu handeln) finden sich auch und gerade an angelösten rauhen Bereichen und an Bruchflächen! Wie sieht das Sediment aus, in dem die Funde eingebettet waren?
Ich kann mir gut vorstellen, dass Neandertaler mit Pigmenten experimentiert haben, aber die vorlegten Indizien sind alles andere als überzeugend.

Viele Grüße

Fridolin
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Beitragvon Thomas Trauner » 14.01.2010 13:47

Danke – Fridolin für diese „down-to-earth“ Argumentation. Das rein praktische Problem ist natürlich, dass die als Farbpigmente genutzten Materialien natürlichen Ursprungs und damit Teil der Einbettungssedimente sein können oder gar Bestandteil des “Artefakts”. Ebenso sind die Löcher in den Muschelschalen nicht zwingend artifiziell. Ein Klassiker ist ja diese „Neanderthalerflöte“ aus einer Karsthöhle in Slowenien oder Kroatien, ich erinnere mich jetzt nicht genau. (Joze, bitte jetzt keine Off-topic Diskussion....)

Dass ortsfremde Pigmentbrocken in neandertalerzeitlichen Stratia vorkommen, ist bekannt. Hier dreht sich die Diskussion aber darum, ob diese nun wirklich dem „Schmuck“ dienten oder der Gerbung oder besser gesagt, der Wasserdichtigkeit von Lederkleidung oder Lederausrüstungsbestandteilen.

Wenn wir aber ehrlich sind und dieselben strengen Regeln an (offenbar) HSS zeitlicher „Kunst“ anlegen, hätten wir wohl auch in dem oder jenem Fall auch das Problem, künstlerische Absichten nicht nur einfach als gegeben zu postulieren, sondern auch zwingend nachzuweisen.
Wenn wir nur die „Öllampen“ und die „Farbschalen“ aus nicht bemalten Höhlen hätten, und nur ein wenig zuviel Rötel in der einen oder anderen HSS Bestattung des Gravettien, hätten wir auch ein Problem.
Allerdings einen argumentatorischen Vorteil, nämlich den Analogschluss auf modernes Verhalten unter der Annahme des anatomisch gleichen Gehirns des Aurigancien/Gravettien HSS.
Die Farbschalen könnten dann sowohl utilitaristisch (Leder, Bestattung) sein, aber auch zwanglos als Werkzeug zur Herstellung von Kunst gedient haben.
Dass HSS Kunst vorliegt, wundert uns ja nicht wirklich. Wir rätseln um Hintergründe und möglicher Zweckwidmung, aber wirklich wundern tun wir uns nicht.

@ Wulf – ich möchte jetzt beileibe nicht die Zeit der Forumianer damit verschwenden, mich mit meinem Unverständnis zu beschäftigen.
Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich mich überhaupt verständlich ausdrücke oder nicht einfach ein Problem sehe, wo gar keines ist oder meine Logik nicht einfach zu umständlich ist.
Trotzdem:
Ich meine, Kunst zu definieren geht nicht. Irgendwie wissen wir alle, was wir meinen, aber Kunst scharf abzugrenzen gelingt nicht. Nicht erst seit Dürer, der sich eben nicht mehr als Kunsthandwerker sah, sondern als Künstler, und schon gar nicht mehr seit Beuys, der Kunst als das definierte, was er als Kunst definierte.
Im konkreten Fall geht es mir letztlich um den Grad der Abstraktion, zu der der HN fähig war.
Die farbliche Unterscheidung des rot gefärbten Speeres vom schwarzen meines Mitjägers zum schnellen Auseinanderhalten des Eigentums oder des Gewichts der beiden Speere wäre jetzt keine Kunst. Auch nicht unbedingt die orange Muschel als Kennzeichen für „mein Beutel“ im Gegensatz zur weißen Muschel des anderen Jägers/Sammlers.
Schönheit auch nicht. Wenn man sich ansieht, worin wir Schönheit oder Ästhetik sehen, stellen wir schnell fest, dass (klar, ist beides subjektiv) trotzdem Symmetrie oder Zweckgerichtetheit eine Basisrolle spielen. Das hilft bei der Fortpflanzung genauso wie bei der Beurteilung von Funktionsfähigkeit, auch bei Werkzeugen. Was gut aussieht, funktioniert auch gut. Wir erkennen auch ohne große Schulung die Ästhetik eines Bumerangs oder eines Faustkeiles. Beides funktioniert auch. Bei „schrägen“ Entwürfen brauchen wir erstmal Überzeugungsarbeit oder eine sonstige Erklärung. (*)
Dies scheint also Bestandteil einer Überlebensstrategie zu sein, wohl tatsächlich ein Stück evolutionär bedingt. Dazu gehört auch die Fähigkeit „ungewöhnliche“ Stücke zu erkennen. (Moderne Kinder mögen auch ohne „Kunsttrainung“ bestimmte Dinge.)
Genau das traue ich dem HN zu. Er/Sie erkannte natürlich, ob ein Werkstück „fertig“ war, funktionstüchtig, auch und wohl gerade über Fähigkeit „gesund“ oder „eingeschränkt“ zu unterscheiden. Oben wird ein Ammonit in einem Faustkeil erwähnt (Wo gibt es denn den ? Wie kommt der eigentlich da rein ? Ist der Faustkeil aus Kalk ?)
Wenn ich ihn drin lasse, erhöht oder unterstreicht es die Funktionsfähigkeit. Wenn ich ihn beim Bearbeiten beschädige "sieht das nicht gut aus" und man verliert ein wenig das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Faustkeils...
Was hier jedoch mit diesen Funden postuliert wird, wäre die Fähigkeit über die reine Ästhetik hinaus Artefakte oder Kennzeichnungen oder Mittel zu erfinden, die auf über die reine Überlebensstrategie hinaus abstrakte Gedanken ausdrücken (Löwenmensch)
oder der nonverbalen abstrakten Kommunikation dienen (Schmuck als Clanzugehörigkeit oder Status)
oder tatsächlich zweckfrei sind (Eine Sammlung von Faustkeilen nur mit Ammoniten oder Dekoration der Hütte mit „schönen Stücken“
oder ein „Objekt der Begierde“ nachbilden. (Jagdtiere, Sexualität, Kraft)

Da dies alles jedoch Gedankliche Prozesse sind, sind ihre Überlieferungsbedingungen schlecht. Die Diskussion über einzelne Artefakte, solange sie nicht eindeutig sind, wie ein Löwenmensch der alles erfüllt, bleibt eine Glaubensdiskussion.
Deshalb eben mein Umweg über die Vorderhirnlappen......

Thomas
(*) Deshalb können Männer ja sprechen, Rasen mähen und Blumen kaufen.....J
Thomas Trauner
 

Beitragvon ulfr » 15.01.2010 12:07

"Wenn Sie stolz sein wollen auf Ihr Volk, dann empfehle ich Ihnen den Beruf des Imkers".
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Re: Pigmentverwendung?

Beitragvon Trebron » 02.07.2013 20:15

Wer nur zurück schaut, sieht nicht was auf ihn zu kommt
Uff pälzisch: wä blos zurigg guggt, sieht net was uff`ne zukummd
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