Älteste Runen Zentraleuropas

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Älteste Runen Zentraleuropas

Beitragvon ulfr » 15.04.2012 10:16

auf einem Kamm aus dem 3. Jhd. aus Frienstedt in Sachsen-Anhalt entdeckt:

http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/in ... deckt.html

Manche sagen, die Runen würden "KAMA" bedeuten, andere meinen "KABA", es soll aber wohl "Kamm" bedeuten.

Auch bezüglich der Datierung scheint man sich im Blätterwald noch nicht ganz einig zu sein:

http://www.thelocal.de/national/20120413-41929.html

Muss ich meine Rekos jetzt auch alle beschriften? "Speerschleuder", "Harpune", "Axt" ??? :D
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Re: Älteste Runen Zentraleuropas

Beitragvon JHenkel » 15.04.2012 11:33

ulfr hat geschrieben:Muss ich meine Rekos jetzt auch alle beschriften? "Speerschleuder", "Harpune", "Axt" ??? :D

Nur die aus der römischen und germanischen Eisenzeit.

Es ist schade, daß man die Inschrift auf dem Foto nicht erkennen kann. Es würde mich wundern, wenn die Inschrift wirklich nur "Kamm" bedeuten würde. Blöd waren die Leute damals ja nicht. Auf den meisten Kämmen mit urgermanischen Runeninschriften findet sich entweder ein Name (sinnvollerweise der des Eigentümers) oder eine einfache Inschrift wie "[Name]s Kamm" oder "[Name] schenkte mir den Kamm". Wenn also nur ein Wort drauf steht, wäre ein Name die naheliegendere Deutung.

Quelle: Samnordisk runtextdatabas, Institutionen för nordiska språk, Uppsala Universitet http://www.nordiska.uu.se/forskn/samnord.htm. Eine erstklassige Datenbank der bekannten skandinavischen und kontinentaleuropäischen Runeninschriften.
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Re: Älteste Runen Zentraleuropas

Beitragvon Nils B. » 15.04.2012 12:14

Schon wahr, daß die meisten Runeninschriften auf alltäglichen Kleingegenständen vermutlich den Namen des Besitzers oder 'Spenders' darstellen.
Andererseits stelle man sich mal folgende Szene vor: So mein Kleiner. Mutti bringt dir jetzt die Runen bei. Hier, das heißt 'Kamm'. Ritz dir die Zeichen doch einfach in deinen Kamm, damit du sie nicht vergisst. Aprops ritzen: das hier heißt 'Messer'. Und das hier ist dein eigener Name... usw.
Schwer spekulativ, ich weiß :wink:

Was mich mal wieder schaudern läßt, sind die Kommentare unter dem Artikel auf 'Welt'-Online.
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Re: Älteste Runen Zentraleuropas

Beitragvon JHenkel » 15.04.2012 12:44

Nils B. hat geschrieben:Schwer spekulativ, ich weiß :wink:

Jo. Wenn Geschichte so abgelaufen wäre, wie ich mir das vorstellen könnte, au weia... Aber die Möglichkeit besteht: Ich habe nochmal genauer nachgeschaut, es gibt tatsächlich einen Kamm, vermutlich aus dem 9. Jahrhundert, auf dem in Runen des jüngeren Futhark einfach nur "Kamm" steht. Die Frage nach dem Warum lassen wir einfach mal im Spekulationsraum stehen.

Nils B. hat geschrieben:Was mich mal wieder schaudern läßt, sind die Kommentare unter dem Artikel auf 'Welt'-Online.

Wo wir schon beim Thema Phantasie sind: Kommentare auf Nachrichtenseiten haben nur einen Zweck: Mehr Kommentare -> Mehr Klicks -> Mehr Werbung -> Mehr Geldfluß
Einen fachlichen Sinn haben sie nicht.
Zuletzt geändert von JHenkel am 15.04.2012 22:42, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Älteste Runen Zentraleuropas

Beitragvon JHenkel » 15.04.2012 14:24

Weitere Informationen zum Kamm, insbesondere zur sprachgeschichtlichen Bedeutung der Inschrift, sowie zum Fundkontext:

http://www.archaeologie-online.de/magazin/nachrichten/aeltester-schriftfund-mitteldeutschlands-21205/
JHenkel
 

Re: Älteste Runen Zentraleuropas

Beitragvon Bullenwächter » 16.04.2012 07:02

JHenkel hat geschrieben:... Es würde mich wundern, wenn die Inschrift wirklich nur "Kamm" bedeuten würde. Blöd waren die Leute damals ja nicht. ....


So ungewöhnlich wäre diese Inschrift nicht, ich denk an den kleinen Schemel aus der Wurt Wremen der mit dem Schriftzug skamella (= Schemel) sowie einer Hund-reißt-Hirsch-Szene verziert ist die mit algəskaþi (= Hirschschädigung) bezeichnet ist.
http://www.runenprojekt.uni-kiel.de/abf ... wordno=457

Dazu kommen noch einige Schriftdokumente bei denen einfach nur (scheinbar Sinnfrei) das Alphabet eingeritzt wurde wie beim Stuhl aus dem Trossinger Sängergrab Nr 58.
The day may be near when we must kill to conserve.
"Dekmalschützer" Giles Cato in der MIDSOMER-MURDERS-Episode The House in the Woods
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Re: Älteste Runen Zentraleuropas

Beitragvon Nils B. » 16.04.2012 07:58

Bullenwächter hat geschrieben:Dazu kommen noch einige Schriftdokumente bei denen einfach nur (scheinbar Sinnfrei) das Alphabet eingeritzt wurde wie beim Stuhl aus dem Trossinger Sängergrab Nr 58.


Oder auch bei dem Sax von Beagnoth, wo neben dem besagten Namen ein angelsächsisches 'Futhork' aufwendig eingelegt wurde.
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Re: Älteste Runen Zentraleuropas

Beitragvon JHenkel » 16.04.2012 17:55

Bullenwächter hat geschrieben:Dazu kommen noch einige Schriftdokumente bei denen einfach nur (scheinbar Sinnfrei) das Alphabet eingeritzt wurde wie beim Stuhl aus dem Trossinger Sängergrab Nr 58.

Die Futhark-Inschriften sind möglicherweise weniger sinnfrei als einfache Inschriften wie "Kamm" oder "Schemel". Da man sie auf den verschiedensten Trägern findet, gibt es auch verschiedene Deutungsansätze.

Eine verbreitete Deutung ist die magische Funktion, z.B. als Abwehrzauber gegen Widergänger (auf der ins Grab gewandten Seite der Grabplatte von Kylver/Gotland). Die Futhark-Inschriften auf diversen Goldbrakteaten (Amulette) könnten ebenfalls magische Bedeutung gehabt haben, oder einfach Inschriften mediterraner Münzen imitieren (auch den Bilddarstellungen auf Brakteaten wurden Münzen als Vorbilder zugeschrieben).

Schwieriger wird es dann schon auf mittelalterlichen Taufbecken, z.B. Bårse/Süd-Seeland: Hier steht eine jüngere Futhark-Reihe unter einer Widmungsinschrift in lateinschen Buchstaben. Die Futhark-Reihe ist ergänzt um drei Runen, die sonst nur aus Runenkalendern bekannt sind.

Dann natürlich vollständige oder meist unvollständige Futhark-Inschriften auf Gebrauchsgegenständen wie dem erwähnten Sax oder dem Stuhl, Kämme etc. Dazu Knochen (meist Rippen) und Holzstücke. Und nicht zuletzt an und in Kirchen: Putzinschriften, Glocken, Holzbänke, Ziegelsteine.

Eine Interpretation geht in die Richtung von Nils' Spekulation: Schreibübungen. Man hat die Runenreihe aufgeschrieben, um sie sich zu merken. Zumindest die Inschriften auf Knochen oder Holzstücken könnten diesen Zweck erfüllt haben.

Aber jetzt komme ich vom Thema ab. Freuen wir uns einfach an der interessanten, wenn auch einfachen neuen Inschrift aus Thüringen!
JHenkel
 

Re: Älteste Runen Zentraleuropas

Beitragvon Jøran » 16.04.2012 18:18

Vielleicht hängt das auch mit dem Fundumstand zusammen?

Ok, hier nun der direkte Bericht von ZBSA auf deren Internetseite:

http://www.zbsa.eu/aktuelles/News/die-aelteste-schrift-mitteldeutschlands

Gruss aus Schleswig-Holstein

Jøran-Njål
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